: Der letzte Schrei
Ikone des Afrobeats: Tony Allen spielt in der Kalkscheune
Wenn man in den letzten Wochen nach den großen musikalischen Trends des vergangenen Jahres gefragt wurde, geriet man immer ein wenig in Verlegenheit: 1999, war da eigentlich was? Ohne Zögern konnte man allerdings von einem Afrobeat-Revival berichten, das letztes Jahr seinen Höhepunkt erreichte. Die richtigen DJs waren bei ihrer ewigen Suche nach der besonderen Note für ihre Rare-Groove-Sets plötzlich auf diese eigenwillige Mischung aus traditioneller afrikanischer Musik, Fusion-Jazz, Funk und jeder Menge Spiritualität gestoßen.
Was für ein Glück! Da gab es tatsächlich noch eine tanzbare Musik, die aufregend klang, unbedingte Geschmackssicherheit des Plattenauflegers bewies und trotzdem noch nicht durch zweitklassige Trip-Hop-DJs, die gerne auch mal ein wenig Jazz und Funk in ihre Sets mischten, totgenudelt war. Dumm nur, dass im Secondhand-Record-Store das Fach „Afrobeat“ noch nicht eingerichtet war. Wenn man dann doch mal eine Afrobeat-Platte fand, lief man angesichts des Preises rot an, schluckte tief und kaufte dann doch meist lieber ein paar unvergleichlich günstigere Funk-Platten.
Dieses Dilemma erkannte auch die Plattenfirma, die das Vermächtnis des vor zwei Jahren verstorbenen Afrobeat-Königs Fela Kuti verwaltet. Nach Kutis Tod schmiss sie eine riesige Werkschau des Meisters auf den Markt, den Großteil davon in DJ-freundlichem Vinyl. Und seitdem freuen sich auch die preisbewussten zweitklassigen Trip-Hop-DJs mit ihrer Vorliebe für Jazz und Funk.
Während nun auf deren Plattentellern die wieder veröffentlichten Kuti-Platten aus den Sechzigern und Siebzigern rotierten, wurde aus einer anderen Ecke die Verbindung von klassischem Afrobeat und aktueller DJ-Culture noch viel konkreter formuliert. Tony Allen, ehemaliger Drummer von Fela Kuti, veröffentlichte seine Platte „Black Voices“, die den Spirit von klassischem Afrobeat genauso atmete, wie sie aktuelle Dance-Sounds in ihr Gesamtbild integrierte. Denn der seit einigen Jahren in Paris lebende Allen konnte für die Produktion seiner Platte den ausgewiesenen Downbeat-Produzenten Doctor L gewinnen, der ein Faible für spacigen Funk und Soul hat. So gelang es, Tony Allens Afrobeat nicht retro klingen zu lassen, sondern frisch und trotzdem traditionsbewusst.
Der Mut, sich von neuen musikalischen Entwicklungen eine dermaßen gelungene Frischzellenkur verpassen zu lassen, ist noch am ehesten mit Miles Davis vergleichbar, der ebenfalls stets darauf bedacht war, seine Musik immer wieder auf ein neues Level zu bringen. Die spektakuläre Wiederkehr von Afrobeat liegt somit nicht nur in dem Ableben einer Lichtgestalt und dem Forscherdrang von ein paar DJs begründet, sondern vor allem in dem unvergleichlichen Comeback einer Ikone des Afrobeat, mit der eigentlich kaum noch jemand gerechnet hat.
Andreas Hartmann
Heute ab 23 Uhr in der Kalkscheune, Johannisstr. 2, Mitte
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