: „Immer schon ein armer Hund“
Kurz vor dem 0:2 gegen Ghana beim Afrika-Cup der Fußballer platzt Togos deutschem Trainer Gottlieb Göller endgültig der Kragen, und er sucht eilig das Weite ■ Aus Accra Kurt Wachter
Der Sportminister und auch der Vorsitzende des togolesischen Verbands stehen sichtlich verdutzt in der Lobby des Novotel in Accra. Nicht nur das Vorrundenspiel gegen den Nachbarn Ghana wurde soeben mit 0:2 verloren, auch der Trainer ist verloren gegangen. Gottlieb Göller, der das kleine Togo schon viermal für den Afrika-Cup qualifizierte, hat noch vor dem Ankick ein Taxi nach Lomé bestiegen und sich damit in die Fußballrente begeben.
Noch am Vortag, nach dem eindrucksvollen 1:1 gegen die Elfenbeinküste, meinte er: „Am Ende werde ich noch berühmt. Unser Traum ist es, dass wir zum ersten Mal in die zweite Runde kommen.“ Dennoch vermittelte der 65-jährige Göller im Interview eher Melancholie als Optimismus: „Ich war immer ein armer Hund!“ Göller, von 1952 bis 1967 Vertragsspieler u. a. beim 1. FC Nürnberg, SV Wiesbaden und bei Opel Rüsselsheim, platzte offensichtlich endgültig der Kragen. Auslöser war die nicht gezahlte Punkteprämie über 500.000 CFA, umgerechnet 1.800 Mark, für jeden Spieler.
Schon die Vorbereitungsphase für den Afrika-Cup hatte es in sich. „Wir sind vor vier Wochen von Bengazi nach Kairo 2.000 km durch die libysche Wüste mit dem Bus gefahren, weil der kleine Pimpf, unser Verbandspräsident, dem Reiseleiter nur 3.000 Mark mitgegeben hat.“ Mit dem Pimpf meint er den Sohn des allmächtigen Staatspräsidenten Eyadema.
Göller, der 1970 als diplomierter Fußballlehrer über die GTZ nach Togo kam und auch die Nationalteams von Sudan und Madagaskar trainierte, versuchte bis zuletzt, seinen besten Kicker Bachirou Salou nach Afrika zu lotsen: „Eintracht Frankfurts Manager Feigenheim hat mir gesagt, wenn der Bachirou will, kann er sofort nach Accra fliegen. Es scheint aber, er will nicht; dann bin ich aber sehr bös, weil ich ihm dermaßen geholfen habe, als er bei Mönchengladbach am absteigenden Ast war.“ Bachirou Salou sind offenbar die Szenen nach dem Ausscheiden beim Afrika-Cup in Burkina Faso 1998 – trotz Sieg gegen Ghana – in bester Erinnerung. Ihn bewarf man mit Tomaten, seine Kinder wurden in Lomé bedroht.
Was Göller aber wirklich in Rage bringt, ist die togolesische Verbandsführung: „Wir wären bei der Olympiade in Atlanta 1996 gewesen. Ich habe Tunesien geschlagen und Marokko rausgeworfen. Wir wurden aber disqualifiziert, weil ein Spieler älter als 23 war. Es hat sich herausgestellt, dass der Vizepräsident des Verbands die Daten an Tunesien verkauft hat.“
Göller schwärmt von den 70er-Jahren im togolesischen Fußball, als das Stadion noch voll war und der Straßenfußball lebte. Damals, 1971, landete er seinen ersten Coup, als Togo die Black Stars aus Ghana auswärts bezwang. „Heute ist die Meisterschaft so schlecht, dass man gar nicht mehr hinschauen kann. Jetzt haben ihnen die Chinesen nach 30 Jahren ein zweites Stadion hingestellt. In ganz Togo gab es nur ein Stadion. Der Platzwart war mein Mittelstürmer 1970, der hat noch nicht mal eine Walze, und die kommt auch nie!“
Über Fußball zu reden ödet Göller bisweilen an. Er ist stolz, Oscar Wilde und Henrik Ibsen gelesen zu haben: „Momentan liegt Huntington auf meinem Tisch, und ich habe alle Werke von Spengler. Ich hab in meiner Bibliothek auch Egon Friedell: Das Lustigste, was ich über Geschichte je gelesen habe.“ Bei der Pressekonferenz nach dem Remis gegen die Elfenbeinküste belehrte er die Journalisten auch über die Marxsche Transformation von Quantität in Qualität.
Ohne Trainer auf der Bank und ohne den Spielmacher Salou wirkte Togo am Donnerstag antriebslos. Das 1:0 für Ghana nach 27 Minuten resultierte aus einem Torwartfehler. Schütze Kwame Ayew: „Da war die Hand Gottes im Spiel. Gott hat den Ball über die Linie befördert.“ Borussia Dortmunds Angreifer Otto Addo, der bei den Black Stars im Mittelfeld agiert, nutzte zehn Minuten später einen Stellungsfehler zum 2:0. Nach der Pause sah der Ghanaer Eben Dugbartey Rot, doch die Black Stars spielten die Partie trocken heim.
Noch stehen zwei Gruppenspiele bevor, und Togo will die kleine Chance nützen, als Gruppenzweiter in die nächste Runde zu kommen. Gottlieb Göller wird sich das wohl nur noch im Fernsehen anschauen. Doch im afrikanischen Fußball ist vieles möglich.
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