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In der Bärchenguckerei

Reife Frauen ab 40 oder heiße Katzen für nur 81 Pfennig, heiß oder kalt, weich oder hart: Telefonsex wird immer beliebter. Auch einmal zu den Gewinnern bei der Partnersuche gehören wollte unser Autor ■ Detlef Kuhlbrodt

Telefonsex ist so eine Sache. Der Schriftsteller Charles Bukowski schrieb mal über einen Mann, der bei seinem Telefon die Sprechmuschel abschraubte, um alles noch wilder zu gestalten. Bei den kleinen Handys geht das nicht so gut. Ungefähr zehn Jahre be- vor der bezahlte Telefonsex in Deutschland nach der Vereinigung so richtig losging, war ganz Frankreich schon mit Minitel-Telefonsexreklamen zugekleistert. Deutschland legte nach. Auch wegen Aids und niedrigeren Schwellen scheint Telefonsex sehr beliebt zu sein. Zahlen gibt es nicht.

Wie beliebt Telefonsex ist, kann man nur mutmaßen; anhand der diversen kleinen Skandale, die es gab – am bekanntesten war der des CSU-Abgeordneten Hans Wallner, dem die Immunität entzogen wurde, weil er angeblich für 25.000 Mark auf Kosten des Freistaats Bayern Telefonsex hatte –, oder anhand der Geschichten, die man so hört. Ein Bekannter aus dem Kreuzberger Bibliothekswesen erzählte etwa, wie sehr die Mütter pubertierender Söhne über exorbitante Telefonrechnungen klagen würden, weil ihre Söhne ständig die heißen Nummern anriefen. Und in der U-Bahn unterhielten sich zwei junge Mädchen darüber, wie viele Leute in ihrer Klasse Handys hätten. Sie kamen auf 27 von 30. Wenn die mit ihren Handys Telefonsex machen, wird es natürlich noch viel teurer.

„Wenn Sie kein Interesse an Sex haben, schalten Sie jetzt ab“, sagt eine Frau mit aufgeblähten Luftballons und wasserstoffblonden Haaren. Es war Sonntagabend, so gegen elf, und ich war auf der Suche nach interessanten Telefonsexreklamen bei der Sendung „electric blue“ gelandet. Auf einer Insel saßen blonde Bikinifrauen mit comichaft aufgeblasenen Brüsten an einem blauen Pool. Ein schwarzer Diener brachte ihnen rote Drinks. Der Film stellte die These auf, wer reich sei, bekäme auch tollen Sex. Im anderen Programm empfahl jemand: „Gehören Sie auch zu den Gewinnern bei der Partnersuche!“ Dann stellte er einen Duftstoff vor, der Frauen ganz wild macht: 25 ml nur 99,–!

Die populäre Ansicht, der zufolge Sex eine darwinistische Kampfangelegenheit ist, wird ununterbrochen im Billigfernsehen variiert. Und billig – darauf stehst du doch!

Irgendwann vermehrten sich die Sendungen mit den Damen auf den einschlägigen Privatkanälen. Manche bewegten sich, andere waren nur Fotos. Ihre Haut glänzte feucht. Sie sagten: „Tu’s jetzt!“, „Nasse Spiele!“, „Heiße Katze für nur 81 Pfennig“, „Komm in meinen Garten, ich zeige dir die Wunder der Natur“. Man kann zwischen „heiss“, „kalt“ und „hart“ wählen. (2,42 DM/min). Für 81 Pfennig gibt es lediglich ein Stöhnendlosband, bei dem es auch erst nach fünf Minuten richtig losgeht. Vermutlich werden solche Nummern in erster Linie von einsamen Pubertanden angerufen, die so zumindest die Telekom-Aktien in die Höhe schnellen lassen.

Ein schwarzer Strich legt sich über die Körpermitte, an der eine Nackte rumfummelt. „Zensiert!“ Die zu bezahlende Fantasie zielt auf gemeinsame Onanie. Die Schamhaarrasur scheint sich überall durchgesetzt zu haben. „Nachtaktive Frisösen“ kommen vorbei. Für die Freunde des fleischlichen Hyperrealismus gibt es derbe Close-ups aufrechter „Nippel“; für die eher Schüchternen mollige Muttis auf dem Sofa Ende dreißig – „mein Mann ist grade nicht da“. Außerdem: „Reife Frauen ab 40“ bzw. „Reife Früchte“ und Frauen 30+ „extrem professionell“.

Die Telefonsexreklame ist vielleicht die einzige Sendeschiene, auf der sich auch ältere Frauen nackt rumfläzen, ohne dass der Sendebetreiber eine Lächerlichmachung anstrebt. Das könnte etwas Emanzipatorisches haben. Muss aber nicht. Am besten gefällt mir die Domina-Frau, die auf befehlerisch macht, deren Stimme allerdings eher nach Kindertrotz klingt: „Du rufst jetzt hier an!!!“

Überhaupt die Stimmen, denn darum geht es ja eigentlich. Sie klingen manchmal warm, manchmal ein bisschen schrill und vor allem ungeschickt amateurhaft. Das könnte einerseits eine größere Vertraulichkeit schaffen und die Hemmschwelle senken. Hat aber andererseits wohl auch damit zu tun, dass Telefonsex in Deutschland ein relativ neues Genre ist, dass noch dabei ist, seine professionelle Form zu finden. Es verhält sich dabei vielleicht so ähnlich wie bei Pornofilmen aus den Zwanzigern, die ja auch eher durch Ungeschicktheit imponieren. Andererseits gibt es einen gewissen Widerspruch zwischen den Bildern, die meist den Hochglanzmustern zeitgenössischer Pornografie folgen, und den Stimmen; am stärksten bei Dana Vargas, der bekannten „Venus Award“-Gewinnerin. Die lispelt doch sehr!

Es war spät geworden in der Bärchenguckerei, und ich versuchte so zu zappen, dass ich immer weich auf Busen landete. Zwanzig Minuten hintereinander Telefonsexwerbung sind leicht zu schaffen. Eine Stunde erfordert schon eine gewisse Meisterschaft. Wenn man das mit einigen Freunden als Wettkampf machen wollte, brauchte man mehrere Fernseher.

Diese Telefonsexreklamesendungen werden schnell ausgesprochen spacig, denn die einzelnen Spots wiederholen sich ständig wie bei den „Teletubbies“, und man gerät in Tranceschleifen. Um 2.30 Uhr gibt es auf RTL eine Reportage über Natalie, eine nette Polin (20!), die es anregend findet, ohne Höschen unter ihrem Hemd herumzulaufen. Immer mehr Frauen seien als Exhibitionistinnen unterwegs. Freut das den Exhibitionisten, oder passt das dann doch nicht wie beim Witz von dem Sadisten, der einen Masochisten trifft und dann „Nein“ sagt?

Angeheitert denkt man sich dümmliche Verse aus: Viel Getöse um Möse / Möse wird Frisöse! / und so weiter. Telefonsexmänner gibt’s kaum, und wenn, dann nur für Schwule. Wahrscheinlich wird sich das in den nächsten zwanzig Jahren noch ändern. Die sexuelle Dienstleistung Telefonsex scheint mir jedenfalls irgendwie weiblicher zu sein als die anderen Spielarten der Pornografie.

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