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„Die Literatur dient nicht zur Reklame“

Der in Deutschland lebende polnische Autor Krzysztof Maria Załuski im Gespräch. Der Tonfall seiner Bücher ist nach seinen eigenen Worten bitter. Aber so ist eben das Leben

„Die Emigration ist eine Art Krankheit. Mit meinen Büchern habe ich versucht eine Diagnose zu stellen.“

taz: Über Ihr Buch „Das Bodensee-Triptychon“ schrieb ein polnischer Kritiker: Ihr Hauptthema seien Schicksale von Menschen, die sich willentlich ihrer Wurzeln entledigt haben. Sind Sie auch so ein wurzelloser Emigrant oder eher ein „Kosmopole“?

Krzysztof Maria Załuski: Natürlich vermisse ich die alte Volksrepublik Polen nicht, die es ja nicht mehr gibt. Vor zwölf Jahren, mit 24, habe ich Polen verlassen. Und das, was jetzt dort ist – das kapitalistische oder freie Polen – ist etwas ganz anderes: Die Leute sind anders, sie denken anders, nur die Sprache ist noch ähnlich. Viele Begriffe verstehe ich nicht mehr. Die Menschen arbeiten viel und hart. Als ich unlängst in Danzig war, habe ich fast keine Betrunkenen mehr gesehen. Ob das neue Polen das Polen ist, von dem sie alle geträumt, um das sie gekämpft haben, weiß ich nicht – aber es ist sicher nicht ganz mein Polen. Heute fühle ich mich hier in Südbaden genauso zu Hause wie in Danzig.

Aber in Ihren Büchern – das letzte, das in Polen erschien, heißt „Das Hospital Polonia“ – beschäftigen Sie sich ausschließlich mit dem Thema Emigration?

Das ist, weil ich denke, dass diese Emigration eine Art Krankheit ist. Um sie zu heilen, muss man erst einmal eine Diagnose stellen. Das habe ich mit meinen zwei Büchern versucht. Sie sind ein bisschen bitter, das stimmt. Manche Polen sind deswegen sehr böse auf mich. Sie sagen, ich sei ein Nestbeschmutzer. Ein polnischer Kritiker aus Berlin fragte, warum ich immer nur die schwarzen Seiten beschreibe, warum nicht auch erfolgreiche Emigranten. Das ist einfach zu beantworten: Über diese Leute kann man im Stern, in der Bild-Zeitung oder in polnischen Illustrierten nachlesen. Die Literatur ist nicht dazu da, Reklame zu machen.

Ein polnischer Leser hat einmal zu Ihnen gesagt: „Passen Sie auf, dass Sie nicht mit einer Axt im Rücken rausmarschieren . . .“

Das war nach einer Lesung auf einem Treffen polnischer katholischer Familien bei Friedrichshafen am Bodensee. Anschließend habe ich noch einen Film über mich und mein erstes Buch gezeigt. Dieser Film war vom ersten polnischen Kanal gedreht worden. Und der Regisseur hatte da einiges sehr verkürzt und zugespitzt. Das haben die Zuschauer nicht vertragen. Konkret ging es da um ein Trinkgelage von Aussiedlern anlässlich einer Geburtstagsfeier der Heldin meines Buches. Im Film findet diese Szene zu Weihnachten statt – und da bekam das Ganze plötzlich einen blasphemischen Charakter. Das hat die 200 Leute in dem Saal gespalten. Die einen waren mit einer solchen Schocktherapie einverstanden, die anderen waren sauer auf mich.

Sie haben einmal über die von Ihnen herausgegebene deutsch-polnische Zeitschrift „b1“ gesagt, sie sei eine „Bombe der Nachwuchsliteratur“; mit was für einer Sprengkraft haben Sie dabei gerechnet?

Ich wollte damit sagen, dass wir – nach 50 Jahren Zensur – die erste Generation sind, die sozusagen offiziell sagen und schreiben kann, was sie für richtig hält. In den 70er- und 80er-Jahren gab es so etwas nur im Untergrund. Wir waren die Ersten, für die es nicht nur in politischer, sondern auch in ethisch-moralischer Hinsicht keine Tabus mehr gab. Das geht bis hin zu den Schimpfwörtern. Das war fast eine Kulturrevolution. Auch solche Tabus wie die sexuellen Minderheiten, das Judentum, die Vertreibung der Deutschen aus Polen nach dem Zweiten Weltkrieg . . . sind gefallen.

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann Teil des deutschen Literaturbetriebs zu sein?

Nein, obwohl ich jetzt gerade über Helveten schreibe; ich schreibe das aber in polnischer Sprache, wobei der Held, der Icherzähler, ein Ostdeutscher aus Berlin ist, der sich hier ebenso fremd fühlt wie ich mich inzwischen in Polen und der eine ganz andere Kultur sucht. Was er findet, sind die Reste der vor über 2000 Jahren von den Römern vernichteten keltischen Kultur der Helvetier. Er wundert sich, dass fast niemand mehr ein Interesse daran hat. Ganz in der Nähe meines Wohnorts hier am Bodensee gibt es einen 800 Meter langen Keltenwall, aber nur sehr wenige wissen das hier. Auf der Karte steht „Heidenschanze“, nicht mehr. Es war das größte helvetische Oppidum. Ich will in diesem Zusammenhang über den Unterschied von Kulturen schreiben – was ist gut und was ist besser. In diesem Buch wird kein einziges Mal das Wort Polen oder polnisch vorkommen. Der Arbeitstitel ist „Segolène“, das ist ein französisch-keltischer Frauenname.

Ist das Thema der polnischen Emigration damit für Sie erledigt?

Wir haben es lange genug bearbeitet. Jetzt muss man neue Themen suchen. Und besonders, wenn man über sein eigenes Leben bzw. über ähnliche Biografien geschrieben hat, dann ist diese Literatur immer nur ein Zusatz. Wenn wir Polen wollen, dass die Deutschen uns als normale europäische Literaten wahrnehmen, dann müssen wir uns auch europäischen Themen zuwenden.

Können Sie sich vorstellen, dass es überhaupt unwichtig wird, ob man nun dort oder hier lebt?

Ja, ich glaube, alles geht in diese Richtung. Ich fühle mich hier jedenfalls weder besser noch schlechter als in Polen oder England. Die Leute im Dorf hier sind ganz nett, im Übrigen sind von den 5.000 Einwohnern nur noch etwa 60 Prozent Deutsche inklusive der Aussiedler, weitere 40 Prozent sind Schweizer und andere Ausländer. Intellektuelle Kontakte habe ich zu keinem, aber ich habe Internet, ich habe Satellitenfernsehen, -radio und ein Telefon. Außerdem kann ich die Schweizer und deutschen Zeitungen lesen. Die sind interessanter als die polnischen, weil ich dort seit 12 Jahren nicht mehr lebe. Ich fühle mich also hier ebenso zu Hause wie in Polen. Daher missfällt mir, dass die Polen in Deutschland immer entweder als Monster, als kleine Kinder oder als Opfer wahrgenommen werden, um die man sich kümmern muss – wie um Behinderte. Interview: Helmut Höge

„Das Bodensee-Triptychon“ erscheint im März im Verlag Dr. Tibor Schäfer, Herne.

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