piwik no script img

Clinton hat Verständnis für Protest

■ Den US-Präsidenten kann nichts schockieren: Trotz gewaltsamer Proteste beim Davoser Wirtschaftsforum gegen freien Welthandel will er die Kritiker an der WTO beteiligen

Berlin/Davos (taz/rtr/AP) – Erstmals besuchte ein US-Präsident das Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos. Bill Clinton zog dabei den gewaltsamen Protest von über 500 Demonstranten an – und äußerte auch noch Verständnis dafür. Man müsse die Proteste gegen den freien Welthandel ernst nehmen, erklärte der US-Präsident vor der illustren Mischung aus Politikern und Spitzenmanagern aus aller Welt. Anders als andere Redner verlangte er, die WTO müsse sich der Gesellschaft mehr öffnen und auch eine Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen ermöglichen. Wie genau, das ließ er allerdings offen.

Natürlich ist Clinton nicht über Nacht zum Gegner des freien Welthandels geworden: Nur mit der WTO lasse sich ein Wachstum des weltweiten Wohlstands sichern, so Clintons Credo.

Ungeachtet eines Demonstrationsverbots protestierten am Samstag – je nach Schätzung – zwischen 500 und 2.000 Menschen. Die Aktivisten, die mit Bussen aus der gesamten Schweiz sowie aus Italien und Frankreich angereist waren, durchbrachen bei ihrem Marsch in Richtung auf das Kongresszentrum drei Polizeisperren, beschädigten die Fensterscheiben eines McDonald's-Restaurants und verbrannten auf einem der Kongresshotels eine amerikanische Fahne. Die Polizei gab Warnschüsse ab und setzte Tränengas ein.

Die Demonstranten, darunter der französische Bauernführer José Bové, skandierten Parolen gegen das Forum und die Welthandelsorganisation (WTO), wie „Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland“. Auf Transparenten stand unter anderem: „Yankee Clinton, go home!“ Zahlreiche von ihnen erschienen in Skikleidung und waren mit Holzlatten ausgerüstet. Bereits am Nachmittag waren drei Gleitschirmflieger als Protest gegen die Konferenz in Davos gelandet.

Anlässlich des Besuchs von US-Präsident Bill Clinton waren die Sicherheitsmaßnahmen in Davos am Samstagnachmittag erneut verschärft worden. Hunderte Polizisten waren in dem Wintersportort stationiert; erstmals in der 30-jährigen Geschichte des Forums überwachten auch 70 Soldaten die Straßen. Die Schweizer Behörden befürchteten eine Eskalation wie Anfang Dezember in Seattle, als randalierende Demonstranten bei der WTO-Konferenz in der Innenstadt Sachschäden in Höhe von 2,5 Millionen Dollar anrichteten.

Clinton erklärte derweil im Kongresssaal, er werde daran arbeiten, in diesem Jahr den US-Kongress zur Annahme von Abkommen über ein Ende von Beschränkungen im Handel mit afrikanischen Nationen und Karibikstaaten zu bewegen.

Auch regte Clinton an, so bald wie möglich die gescheiterten Verhandlungen von Seattle über Umweltstandards und eine Liberalisierung der Agrarmärkte wieder aufzunehmen. Aus WTO-Kreisen in Genf verlautete allerdings, Fortschritte seien nicht vor Amtsantritt von Clintons Nachfolger Anfang 2001 zu erwarten, bis Klarheit über die Politik des neuen US-Präsident herrsche.

In Davos treffen sich seit Donnerstag Vertreter von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zum 30. Weltwirtschaftsforum. Bis morgen soll dort über Herausforderungen des neuen Jahrtausends diskutiert werden. urb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen