: Vom Sonnenschein in die Traufe
■ Ein Bericht über zwei Konzerte: Die Sängerinnen Salomé Kammer und Waltraud Meier gastierten mit sehr unterschiedlichem Erfolg am gleichen Tag in Bremen
Einige der BesucherInnen eilten im Anschluss an das Konzert in der Galerie Katrin Rabus schnurstracks weiter zum nächsten Konzert in die Glocke. So habe ich es auch gemacht, und es ist zu berichten von zwei Künstlerinnen, wie man sie sich unterschiedlicher kaum vorstellen kann. Beide sind „Stars“ in ihrem Genre, die Gegenüberstellung in so enger zeitlicher Nähe geriet für die ZuhörerInnen zu einem aufschlussreichen Wechselbad. Die Schauspielerin und Sängerin Salomé Kammer war die Protagonistin im Konzert des Freiburger „Ensemble aventure“, das in Zusammenarbeit mit der „Literarischen Woche“ ein text-, ja literaturlastiges Programm für die Galerie Katrin Rabus gestaltete. Waltraud Meier, die das Konzert in der Glocke bestritt, ist eine der berühmtesten Wagner-SängerInnen unserer Zeit.
Salomé Kammer hat sicher auch aufgrund ihrer künstlerischen Vielseitigkeit – sie studierte zunächst Cello, spielte die Hauptrolle in Edgar Reitz' großem Film-Epos „Die zweite Heimat“ und widmet sich regelmäßig ihrer großen Liebe zum Musical und zum Kabarett – einen ganz anderen Zugang zum künstlerischen Ausdruck als Waltraud Meier. So wirkte bei ihr überragend die sogar körperlich vermittelte Identität mit dem, was sie sang. Da ist nichts aufgesetzt, gelernt, entfremdet oder was sonst noch so alles vorkommt. Alles sitzt vollkommen von innen heraus, ist ein Teil ihrer selbst geworden.
In vielen Stücken neuerer Musik wirken Motive, Phasen, Harmonien, Klangfelder mehr oder weniger beliebig. Nicht so bei Salomé Kammer, die noch den winzigsten Ausdruck im Stile des „so muss es sein und nicht anders“ zu vermitteln vermag.
Diese Art und Haltung kamen Hugo Balls „Lautgedichte“ zugute: blitzartig, brillant kann Salomé Kammer die emotionale Grundhaltung wechseln. John Cages „Aria“: ein auch witziges Feuerwerk von unterschiedlichen Arten des Gesanges vom Jazz über die Folklore bis zum röhrigen Operngesang. Mathias Spahlingers „Vier Stücke“ und „128 erfüllte Augenblicke“ beeindruckten durch das fabelhaft ausgehorchte Gleichgewicht mit den Instrumentalisten des Freiburger Ensembles. Und durch die ungemeine Präzision und Präsenz der Geste, auf die diese zum Teil nur wenige Minuten langen Stücke auch angewiesen sind.
Ein Kompositionsauftrag vom „Ensemble aventure“ führte zur Uraufführung von Karin Haußmanns „Stückgut“ für Frauenstimme und Ensemble nach Text-Fragmenten aus Elfriede Jelineks „Die Kinder der Toten“. Auch in diesem gekonnt gearbeiteten, im Verhältnis zum Text aber doch etwas glatten Stück, hat Salomé Kammer eine sprechende, pfeifende und singende Rolle.
Von der Wagner-Sängerin Gabriele Schnaut ist bekannt, dass sie einen Monat lang keine Oper singt, wenn sie einen Liederabend plant – ein Indiz dafür, wie unglaublich schwer der Wechsel von der großen Geste auf der Opernbühne zur miniaturhaften Intimität des Liedes ist. Die Mezzosopranistin Waltraud Meier hat vor einigen Jahren den Sprung ins dramatische Sopranfach gewagt und als Wagner'sche „Isolde“ Furore gemacht. Ihr Abend in der Glocke ließ Zweifel daran aufkommen, ob das richtig war.
In den „Zigeuner-Liedern“ von Johannes Brahms störten neben ihrer aufgesetzten Dramatik die vielen nicht sauber angesetzten, sondern hochgezogenen Töne sowie der Mangel an Klangfarbenrafinesse. Das war alles viel zu schwer. Gustav Mahlers „Rückert-Lieder“ gelangen da, wo große dramatische Aufbauten verlangt sind wie im Lied „Um Mitternacht“.
Selbstverständlich leuchten einige, viele Töne ungeheuer – sonst wär's ja nicht Waltraud Meier – aber die Kontinuität der Stimmführung war an diesem Abend gefährdet. Häufig dunkelt der Klang schnell und überraschend ab, das Piano hat wenig Substanz. Franz Schuberts Goethe-Lieder zeigten noch einmal gut, wie sehr die Sängerin gesangstechnische Unebenheiten und eine gewisse posenhafte Maniriertheit durch die ungemeine Professionalität der Gestaltung wettmachen kann.
Schwer zu sagen, welchen Anteil an diesem gemischten Eindruck das knochentrockene und unflexib-le Klavierspiel von Nicholas Car-thy hatte, das derart ohne Inspiration, ohne Farbe, ohne Atem war, dass es womöglich auch Waltraud Meier kaum gelang, einen Liederabend zu gestalten, der ihrem großen Namen würdig war. Und deutlich gemacht hätte, was für ein wunderbares Programm dieses Konzert im Grunde war.
All diesen Einschränkungen zum Trotz: Die Glocke war fast ausverkauft. Ein untrügliches Zeichen für das große Publikumsinteresse am rar gewordenen Liedgesang. Ute Schalz-Laurenze
Das nächste Konzert von Glocke-Vokal: Der lyrische Tenor Herbert Lippert singt am 30. April Lieder von Korngold, Krenek, Cornelius
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