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Kunst aus der Zeit nach dem Kultur-Crash

■ Die Künstler Andree Korpys, Markus Löffler und Achim Bitter haben die Galerie im Künstlerhaus vollgerümpelt. So ganz nebenbei konstruiert/dekonstruiert das Trio mit künstlerischen Mitteln die Bremer Kulturmisere

Bremen-Neustadt, Künstlerhaus am Deich, Februar 2000. Ein Vi-deorekorder surrt. Der Beamer projiziert einen Ausschnitt aus dem Film „Crash“ auf die Leinwand. In diesem Ausschnitt stellt ein TV-Entertainer mit Hilfe zweier Stuntmen für eine Fernseh-Show James Deans Autounfall nach. Und als die Akteure nach dem Unfall humpelnd die Wagen verlassen, stellt eine Frau auf der Zuschauer-Tribüne die Eine-Millionen-Dollar-Frage: „Sind die jetzt wirklich verletzt, oder ist das nur Show?“

Treffender hätte der zufällig gesehene Ausschnitt aus dem immerhin vierstündigen Filmprogramm nicht sein können, das Andree Korpys, Markus Löffler und Achim Bitter jetzt in der Galerie im Künstlerhaus ablaufen lassen. Denn diese Frage lässt sich ohne weiteres auf die kulturelle Verunsicherung in Bremen anno 2000 übertragen. „Wird jetzt wirklich gespart, oder ist das nur Show?“ fragen sich angesichts der Horrorszenarien fast alle Bremer (Hunger-) KünstlerInnen. Oder drastischer: „Exekutiert der Senat den Kahlschlag, oder spart er nur weiter wie bisher?“

Als hätten sie es vorausgesehen, haben Korpys, Löffler und Bitter in der Galerie des Künstlerhauses schon mal ein Werk aus der Zeit nach dem großen Bremer Kultur-Crash geschaffen. Zwar könnte ihre unbetitelte, aber intern „Kino“ genannte Installation auch in jeder anderen Stadt aufgebaut sein. Doch in Bremen wird sie jetzt quasi kulturpolitisch aufgeladen: Dem „Unser Dorf soll schöner werden“-Programm des Senats setzen sie ihre künstlerische Phantasie entgegen.

Die drei trotz ihrer Geburtsjahrgänge 1960, 63 und 66 noch als „jung“ gehandelten Künstler haben den Galerieraum ziemlich vollgerümpelt. Für ihre Installation stöberten sie in den Abseiten und Kellern von Bremer Museen und Galerien und beförderten neben Sperrmüll auch Gebrauchsgegenstände aus dem Kunstbetrieb ans Tageslicht. Akten aus dem Büro des KünstlerInnenverbandes bbk, ein Sofa und Bildverpackungen aus der Weserburg oder der Tisch von Eva Schmidt aus der Gesellschaft für Aktuelle Kunst sind da kreuz, quer und auf den ersten Blick ohne Sys-tem in der Galerie verteilt. Erst auf den zweiten Blick entpuppt sich der hintere Teil der Installation als Tribüne für ein Sperrmüll-Kino.

Vorbei an Schullandkarten der Sowjetunion führt der Weg ins Zentrum der Installation. Das „Europa“ ist tot, es lebe das Kino im Künstlerhaus. Nur ein einziger Film ist hier zu sehen, doch der hat es in sich: Schnipsel aus 40 verschiedenen Spiel- und Dokumentarfilmen sind da zu einem lehrreichen, ironischen, anspielungsvollen, manchmal krachlustigen und eigentlich zutiefst rührenden Film-Film zusammenmontiert. Und wie die Karten von der Sowjetunion an den Untergang der einmal „unkapputtbaren“ Supermacht erinnern, erinnert auch der Film-Film an gefallene Engel und andere „Helden wie wir“. Der ehemalige Bremer Bombenentschärfer Harry Warrelmann „spielt“ da genauso mit wie zwei Soldaten, die sich versuchsweise in eine Zentrifuge gesetzt haben.

Seit Marcel Duchamp ein Pissoir zur Kunst erklärt hat, wird der Kunstbegriff immer wieder erweitert und mit ihm auch die Urheberschaft relativiert. Korpys, Löffler und Bitter relativieren dabei munter mit. Andree Korpys und Markus Löffler arbeiten schon seit Jahren im Duo. Mit dem eben erst aus Rom nach Bremen zurückgekehrten Villa-Massimo-Stipendiaten Achim Bitter haben sie sich nach einem ersten gemeinsamen Auftritt in Stuttgart jetzt zum zweiten Mal zu einem überaus kreativen Trio zusammengefunden. Gemeinsam spielen sie auf der zurzeit ziemlich angesagten Klaviatur „Konstruktion/Dekonstruktion“. Das heißt: Sie fügen zusammen, was nicht zusammengehört, und lassen anderentags auch mal den Tag anbrechen, an dem die Säge sägen will.

Vor ihrem Künstlerhaus-Projekt war das Trio außerhalb Bremens aktiv. Achim Bitter hat in der leitungslosen Villa Massimo einen ähnlichen, aus Kunstbetriebsgerümpel bestehenden Lesesaal hinterlassen. Und die soeben mit dem BDI-Preis ausgezeichneten Korpys/Löffler sind ein äußerst einfallsreiches Duo, wenn es um eine Mixtur aus Fotografie, künstlerischer Soziologie, Happening und anderer intermediale Zutaten geht.

Sie haben sich außerhalb Bremens einen ziemlich guten Ruf erworben und dürften in Zukunft noch viel von sich reden machen. Die Galerie im Bremer Künstlerhaus gab ihnen die Gelegenheit, einmal ohne extremen Zeitdruck zusammenzuarbeiten. Sie haben auf Zeit eine Konstruktion/Dekonstruktion geschaffen, die ganz nebenbei viel sagt über die Bedeutung von Kunst in untergehenden kleinen Bundesländern. ck

Die Installation ist noch bis zum 20. Februar im Künstlerhaus, Am Deich 68 zu sehen. Öffnungszeiten: di-fr und so 15-18 Uhr

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