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Der homosexuelle Mann ... ■ Von Elmar Kraushaar

... ist ein Mann des Zeitgeistes. Schon immer gewesen. Bei jedem Trend vorneweg, das lässt ihn so manche Beleidigung vergessen. Man kann doch kein Mensch zweiter Klasse sein, wenn man sich so mit Hurra! an die Spitze eines jeden Zuges stellt. Nur ein paar Beispiele aus neuerer Zeit: Der Ring im Ohr – die Schwulen waren die ersten, das Glas Perrier zum Essen, Lust mit Kondomen, Poppers statt Austern, Telefonsex oder alle Haare ab – die Jungs vom anderen Ufer waren immer zuerst da.

Natürlich auch beim Internet. Mein Freund Meik feierte schon Elfer-Orgien mit Maus und Tastatur, als unsereins www. noch für einen Tippfehler hielt. Zugegeben, das Internet ist ein ideales Medium für Homo-Sex: Sofort und jederzeit in Kontakt mit jedem Schwanz weltweit, dabei lügt man sich die Hucke voll, wird nicht erwischt dabei und ist sicher vor Zurückweisung. Meik ist heute, sechs Jahre später, ein Profi im Gewerbe. Ein Click, und er ist im Gay-Chat, noch ein Klick, und der ganze Globus liegt vor ihm flach: Mal ein schwarzer Schwanz aus Ghana? Ein feuriger Macho aus Brasilien? Die Japaner sollen immer geil sein! Und was hat der Armenier in der Hose? Die Auswahl ist so grenzenlos wie jede Fantasie.

Heute hat Meik seinen Heimatabend, bescheiden surft er in Berlin und um Berlin herum. Wo die Fantasie nicht so viel hergibt, macht es die Masse, Meik korrespondiert heftigst mit fünfen zur gleichen Zeit, und keiner weiß vom anderen. Mit „Ficke gern/38/Single“ aus Friedrichshain, „Florian/19/bi“ aus Brandenburg, aus Schöneberg „Dirty Joe/29/Rosetten-Hengst“ und „Duo Multi-Kulti/23 u. 25/türk. u. austr.“ in Mitte. Meik selbst ist variabel: Die Sado-Sau für den Herrn aus Friedrichshain, ein unerfahrener Student für Florian, als gut bestückter Samenstar passend zum Hengst und – der letzte Schrei! – ein bisexueller DJ für das internationale Doppel.

Gekonnt springt Meik von einer Oberfläche zur anderen: „Bist du geil?“ „Wohnst du noch bei deinen Eltern?“ „Cut oder uncut?“ „U want some pics?“ Lässt der eine noch auf sich warten, sind die anderen schnell zurück, und es gibt keinen Leerlauf. Meik trinkt grünen Tee dabei, telefoniert kurz mit Mutter und stellt noch die Waschmaschine an. „Hast du ein Foto?“ Der Single wird unruhig. „Gesicht oder Schwanz?“, funkt Meik zurück. „Schwanz!“ Meik hat drei zur Auswahl auf der Festplatte, heute nimmt er den unbeschnittenen, 21 x 6, halb steif. Die Begeisterung ist groß in Friedrichshain: „Mir kommt’s gleich!“. Meik ist zufrieden.

„So verbringe ich viele Abende“, er lehnt sich zurück, „das entspannt so schön.“ Die Erregung der ersten Jahre ist vorüber, die Pubertät vorbei. Und doch will er’s nicht lassen: „Die Kerle stöhnen immer so schön via Internet, spritzen schnell und viel und machen mir ständig Komplimente für meinen Unterleib. Und dafür muss ich noch nicht mal vor die Tür. Das ist doch praktisch!“ Meik ist froh, schwul zu sein: „Glaubst du, die Heteros surfen auch so rum? Nie und nimmer! Welche Frau macht schon so ’nen Zirkus mit?“ Aber in fünf, sechs Jahren – dann sind die auch so weit. „Und was mach ich dann?“ Meik kratzt sich zwischen den Beinen: „Auf jeden Fall das Neueste, Chicste, Topaktuellste! Da bin ich mir sicher! Ganz sicher! Meiner Veranlagung sei Dank!“

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