: Liebe, Hass, kaum ein Trost
Notate aus dem Unterwasser. Die Videokünstlerin Eija-Liisa Ahtila macht Filme, die nicht ins Kino kommen, dafür aber in die Berliner Neue Nationalgalerie ■ Von Aurelia Sorrento
Es geht vielleicht um Sex. Die Mädchen in Eija-Liisa Ahtilas Videoinstallation „If 6 was 9“ reden zumindest unablässig darüber. Die eine zieht einen Schmollmund, reizend. Die andere hat blonde Haare und einen knalligen rosa Kurzmantel. Sie sagt: „Ich sitze hier mit gespreizten Beinen.“ Früher spielte sie Klavier, heute Basketball. Auf die Langhaarige fahren alle Jungs ab. Sie erzählt von ihren Affären, die Kamera isoliert sie dabei, als handle es sich um ein Verhör. In der Neuen Nationalgalerie sieht man sie auf der mittleren Leinwand, rechts und links hocken andere Mädels in hübschem Kränzchen. Jede erzählt. Die Bilder, rechts und links und in der Mitte, verschieben sich: Irgendwas aus dem Mädchenleben. Grünstichige Postkartenlandschaften. Glitzernde Skylines. Dann wird das Bild schwarz. „Oh, yeah“ und „We are a perfect couple“ steht in den Untertiteln. Alles fängt wieder von vorne an.
Eija-Liisa Ahtila kommt aus Finnland, ist 41 Jahre alt, macht Filme, die nicht ins Kino kommen, und hat sie schon fast überall gezeigt. Unter anderem auf der vergangenen Kunst-Biennale in Venedig. Da waren die Kritiker hingerissen von ihrem letzten Werk, „Consolation Service“. Sie bekam den Ehrenpreis.
„Consolation Service“ ist ein Film auf zwei Leinwänden. Was rechts zu sehen ist, wird links konterkariert. Oder ergänzt natürlich. Etwa wenn rechts zwei Hunde sich um einen rosa Teppich im Schnee raufen, dann sieht man links leinwandbreit das Stoffmuster. Und wenn das Ehepaar, das die Hauptrolle spielt, bei der Ehekriseberaterin sich ankläfft, kläfft der eine von links, die andere von rechts. Beziehungsweise die Beraterin guckt ihnen streng von der einen Seite zu. Es geht um Liebe, also auch Hass. Überhaupt um Menschen miteinander.
Nein, es ist nicht so leicht zu sagen, wovon die Filme von Eija-Liisa Ahtila wirklich handeln. Ich war schon zweimal in der Neuen Nationalgalerie und habe sie mir jedesmal mit offenem Mund angeschaut. Wahrhaftig dumm. Scheinbar will die Künstlerin von Beziehungen, Beziehungskrisen, Familienleben, paranoiden Zuständen und Sex erzählen. Aber das kennen wir ja schon alles.
Nachdem sie sich angekläfft, ausgezofft, umarmt, einvernehmlich getrennt und Geburtstag gefeiert haben, landen Mann und Frau samt Freunden im Wasser. Die Eisschicht auf dem See war brüchig, sie ertrinken allesamt. Plötzlich: Ruhe. Weiß, Kälte, Lauterkeit. Eine Eiszunge blank wie eine Messerschneide. Die Körper schweben ununterscheidbar in der Unterwasserwelt. Jemand redet sanft davon, dass mitten im Leben Todeszustände lauern. Das Wasser wirkt wie eine Liebkosung.
Daran liegt vielleicht das Staunen: Ehe man sich’s versieht, reiht sich im Kopf die Assoziationskette Tod/Wasser/Uterus/Ganzheit/Harmonie. Ein schwacher Trost, offensichtlich, oder eine Chimäre. Denn die Story driftet gleich ins Fantastische ab: Die Frau kehrt in Fleisch und Blut aus dem Seegrund zurück, sitzt abends in ihrer Wohnung. Der Mann wird dort hineingebeamt, mehrmals, beugt sich höflich und verschwindet. Das ist die ganze „consolation“.
Die Kamera rückt den Figuren auf die Pelle. Wenn Benjamin meinte, erst durch sie würden wir vom Optisch-Unbewussten erfahren, so wie vom Triebhaft-Unbewussten durch die Psychoanalyse, dann kann man von Ahtilas Kamera sagen, dass sie zum Psychoanalytiker avanciert ist. Erinnerungsblitze, Wahrnehmungsshots: „Me/we; Okay; Gray“ besteht aus drei 90 Sekunden kurzen Filmen, die mit der Schnittgeschwindigkeit der Werbung konkurrieren. Sie zeigen aber Augenblicke intimsten Ungemachs. Ein Vater denkt über sich und die Familie nach, die im Garten Wäsche aufhängt. Eine Frau tobt, betäubt von Verlangen. Drei andere verschmelzen vor Schrecken – es ist von einem nuklearen Unfall die Rede – ineinander: Hände, Arme, Schenkel taumeln im Wasser. Wieder scheint es auf Erlösung hinauszulaufen. Unten am Bildschirmrand tauchen Sätze auf: „My tongue tastes of salt with the sadness of apology.“
1999 wurde Eija-Liisa Ahtila mit dem Preis des Kunstvereins Hannover ausgezeichnet. Der Kunstverein konnte die in solchen Fällen übliche Ausstellung wegen Umbauarbeiten nicht zu Stande bringen. Als die Neue Nationalgalerie sich als Ausweichstätte für die Schau anbot, wurde die Kuh in aller Eile vom Eis gebracht. In den Stahl- und Glas-Kubus Mies van der Rohes kam ein Holzverschlag. Statt der Klarheit der Vernunft wird hier nun die Obskurität der Psyche vorgeführt.
Eine andere Geschichte: Vor etwa fünf Jahren fiel ein junger Mann in Helsinki der Schizophrenie anheim. Er gab seinen Job bei Nokia Virtuals auf, schloss sich in seinem Apartment ein und entwarf seine eigene Welt. Die besteht in erster Linie aus einer Person: Anne. Anne gibt es und gibt es nicht. Wo der junge Aki sie in der Wirklichkeit sucht, stoßen Fantasie und Realität zusammen.
Auf der Leinwand rechts vor dem Eingang des Verschlags wird Anne in einem Jobvermittlungsbüro ausgesucht. Vierzehn Frauen beantworten Fragen aus dem Off, sprechen von ihren Vorlieben und Vorzügen, defilieren vorwärts und rückwärts wie bei einer Modenschau. Linker Hand finden sich fünf Monitore, auf denen Aki erscheint, darüber auf einer zweiten Leinwand Gott neben einem schwarzen Vorhang. „Anne, Aki & Gott“ heißt die Installation, die Ahtila aus einem work in progress mit dem Titel „A Quest for a woman“ abgeleitet hat.
Man kommt aus dem Kopfdrehen nicht mehr heraus. Wer ist Aki, verdammt noch mal? Auf den Bildschirmen sieht man fünf Männer unterschiedlichen Alters, die alle dieselbe Love-and-Madness-Story dem nachfragenden Gott droben erzählen. Über Gott lässt sich auch nichts Eindeutiges sagen, er zeigt sich abwechselnd als Frau und als Mann und negiert in beiden Fällen die eigene Existenz. Durch die allseitige Wiederholung verheddert sich der Plot in einem Gestrüpp möglicherweise wahrer und möglicherweise fiktiver Erzählstränge, das eines Borges würdig wären. Darin ist kein Einzelner mehr auszumachen. Aki, Anne, Mann, Frau, Mensch, Gott: Egal. Alles eins. Oder gar nichts.
Bis 12. 3., Neue Nationalgalerie Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen