piwik no script img

Die Zeit der Nähe ist vorbei

Grüner Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Antje Radcke macht Überzeugungsarbeit für die Ökosteuer, und Joschka Fischer wird die Kriegstreiber-Rufe nicht mehr los  ■ Von Peter Ahrens

Er ist ihnen unheimlich geworden. Er, der doch einer der ihren war, ihr Darling, der Star. Am liebs-ten hätten sie ihn wieder so wie früher, ihren Joschka. Aber jetzt steht der Bundesaußenminister Joseph Fischer vor ihnen am Mikrofon und spricht von europäischer Stabilität, von Treue zum atlantischen Bündnis, vom großen Ganzen der Weltpolitik. Dabei mögen sie ihn eigentlich immer noch, die Grünen an der Basis, sie würden ihn liebend gern weiter ins Herz schließen, aber die Beziehung ist gestört. Der Zampano Fischer, der Redner, der die Säle mit seiner Rhetorik zur Begeisterung brachte, er wirkt seit dem Kosovo-Krieg entzaubert. Der Beifall beim Wahlkampf in Lübeck am Montagabend ist freundlich, anerkennend, mehr nicht.

Die Kriegstreiber-Rufe wird Fischer nicht mehr los. Diesmal sind es einige ehemalige Grüne und eine Handvoll Autonomer, die gleich zu Beginn der Fischer-Rede zu buhen und zu rufen beginnen. Der Minister geht zwar drauf ein, aber er wirkt angepikst. „Wer hätte gedacht, dass die letzte Rückzugsposition des Linksradikalismus der 70er Jahre Lübeck heißt“, vergreift er sich. Er hält den „Protestanten im Raum“ vor, dass auch die NPD gegen seinen Auftritt in Lübeck mobil gemacht habe. „Ein bizarres Bündnis tritt mir hier entgegen – ausgerechnet in dieser Stadt.“ Immer wenn Zwischenrufe zu Kosovo kommen, erhöht Fischer die Tonlage, die Gelassenheit, mit der er ansonsten die Bälle der Zwischenrufer aufnimmt, ist weg. Die Haut ist dünner geworden. „Keine Bundesregierung hätte anders handeln können als wir, die Bündnistreue stand auf dem Spiel.“ Die Mehrheit in der Kongresshalle klatscht unfroh.

Reden kann Fischer immer noch gut, parieren auch. Er nimmt die Konfrontation an, bemüht sich, die gegnerischen Einwürfe aus der Menge zu nutzen, um eigene Bonmots zu landen. Einer, der sich immer noch sicher sein kann, in jeder verbalen Auseinandersetzung gut abzuschneiden, der weiss, dass das rhetorische Vorratslager gut gefüllt ist. Die Schlagfertigkeit ist allerdings angeknackst, ein wenig nur, aber doch spürbar: „Liebe Leute, es stehen hier nun mal nicht Bakunin und Fürst Kropotkin zur Wahl, nicht einmal Rosa und Karl, sondern Volker Rühe oder Heide Simonis“, geht er die Zwischenrufer an und sagt: „Ihr könnt den Atomausstieg sofort fordern, offene Grenzen für alle: aber durchs Bekenntnis allein ändert sich gar nichts.“

Der Beifall kommt, aber er ist merkwürdig verhalten. Die Leute warten auf den Augenblick, in dem der frühere Landespolitiker Fischer die CDU, besonders die aus dem hessischen Milieu, attackiert. Das wollen sie hören. Als der Redner elegant und weniger elegant auf Rühe drischt, auf Kanther und Koch, applaudieren sie wie befreit. „Wenn die Schweden oder Dänen die Ansichten Rühes zur Umweltpolitik hören, müssen sie ja denken: Das ökologische Neandertal hat Ausgang.“ Das ist der Joschka, wie das Parteivolk ihn gern hat. Wenn Fischer sich fragt: „War der Rühe eigentlich nur der Pudel vom Kohl, dass er nichts gewusst hat?“, wenn er das „Tal der Ahnungslosen kurz hinter Wiesbaden“ ortet und wenn er warnt: „Die CDU versucht hier die ökologische Gegenreaktion durchzuziehen“, dann ist die Gefühlswelt zum grünen Spitzenpolitiker Fischer kurz wieder in Ordnung.

Aber es bleibt eine Momentaufnahme. Fischer wendet sich Russland und Österreich zu und wird wieder zum Außenminister. Und die Nähe, die zwischen Basis und Regierungsmitglied kurz da war, macht erneut der Distanz Platz. Nach einer Dreiviertelstunde macht Fischer Schluss, winkt kurz ins Publikum und verschwindet in einem Tross von Sicherheitsleuten hinter der Bühne. Ende der Veranstaltung. Ein Saxophonist versucht noch ein bisschen Stimmung zu machen, aber fast alle wollen nur schnell nach Hause. Draußen ist es unangenehm, nass und kalt. Es ist ungemütlich geworden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen