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Kochen mit der Übermutter

Von den Irritationen zur eindeutigen Metapher: „Felicia, mein Engel“, der neue Film von Atom Egoyan, präsentiert seine Zeichen auf dem Silbertablett ■ Von Birgit Glombitza

Egoyan, der dekonstruktivistische Kopfrechner unter den Autorenfilmern, will jetzt erzählen

Bloß keine Brühwürfel. Das erschlägt jede Feinheit mit Banalität, jeden Eigengeschmack mit Konsens. Fertigwürze ist nur etwas für Leidenschaftslose. So fabuliert einer, der selbst nicht gerade einen Wonneproppen tief genossener Ekstasen vorstellt. Einer wie Joseph Ambrose Hilditch, Chefkoch einer riesigen Werksküche in Birmingham. Um die fünfzig, allein stehend, schrullig. Bob Hoskins spielt ihn konsequent als einen klaglosen Verrichter pedantischer Geschäftigkeiten. Jedes Zuviel muss solch Erbsenzähler ins heillose Chaos führen. Denn wo keine Ordnung mehr greift, kann nur noch der Trieb, die Wut über früheste Demütigungen, eben der von der Kette gelassene innere Schweinehund wohnen.

Entsprechend ist Joseph Ambrose Hilditch, neben seiner Berufung als Koch, vor allem ein Sammler. In seinen Setzkästen nisten seltene Vogeleier neben hingebungsvoll bemalten Zinnsoldaten samt Miniaturkanonen. Selten ist die Koexistenz von Leben und Tod so friedlich und Platz sparend zu haben, wie bei derartigen Arrangements, für die nur anspruchsloser Sortierwille verantwortlich sein kann. Doch Banalität und Wahnsinn nisten bei Hilditch in enger Nachbarschaft. Denn neben bizarrem Kleinkram und baugleichen Mixern aus mütterlichem Vertrieb archiviert er auch die Begegnungen mit jungen Frauen. Zahllose Videoaufnahmen von Mädchen, die er mit fürsorglichem Lächeln in sein Auto einlädt. Wenn dann alle Skepsis aus den Gesichtern geräumt ist, die intimsten Querelen dem väterlichen Zuhörer wie Gastgeschenke überreicht werden, schlägt er zu. Als Erlöser, versteht sich, der die gefallenen Mädchen wieder auf den Altherrenaltar der heiligen Hure stellt.Und sollte die Sache mit der Jungfräulichkeit, wie bei dem irischen Landmädchen Felicia (Elaine Cassidy), schon versaut sein, verhilft zur Not eine Operation Schwangeren wieder zur Unschuld. Wenn auch zu einer, der nur der Tod zur dauerhafteren Aura verhelfen kann. Hilditch, ein Serientäter, der nicht nur das Reine will und das Böse schafft, sondern sich vor allem an der eigenen Mittelmäßigkeit verhebt. Ein Massenmörder von so vielen, wie das Kino sie seit über zehn Jahren vom Band lässt.

Dass dieses Exemplar aus einem Film von Atom Egoyans (nach William Trevors Roman „Felicia’s Journey“) stammt, verleiht Hilditch jedoch noch keine Exklusivität. Er bleibt über weite Strecken eine Schablone jener Alter-Mann-versündigt-sich-an-junger-Frau-Debakel, die nun mal so antik sind wie die Geschichte männlicher Projektion.

Selten geht es in „Felicia, mein Engel“ um mehr als um das, was die Bilder gleich auf den ersten Blick zur Besichtigung freigeben. Egoyan, der eigentlich als dekonstruktivistischer Kopfrechner unter den Autorenfilmern gilt, übt sich hier in einer neuen Schlichheit, die vor allem eines will: erzählen. Von Anfang bis Ende, und, von einigen Rückblenden abgesehen, so linear und so dicht an den Figuren, wie es geht.

Mit philosophischen Puzzles und ästhetischen Kaleidoskopen ist nun Schluss. Ribbelten sich früher Egoyans Geschichten wieder auf, bevor sie sich zu Ende bringen ließen, verzogen sie sich solipsistisch in Hyperrealitäten, begnügt er sich jetzt mit leicht durchschaubaren Irritationen wie der zwischen „der ländlichen und der industriellen Welt, der jugendlichen Unschuld und der perversen Weisheit“ (Atom Egoyan über „Felicia, mein Engel“).

Den Egoyanischen Kosmos bevölkern Versicherungsvertreter („Der Schätzer“, „Süßes Jenseits“), die menschliche Episoden nur als Unfallhergang erfassen können. Seine Filme handeln von Kleinmütigen, die ihre überschaubaren Pflichten mit großspurigem Ernst verfolgen. Allegorien von zwanghaften Existenzen, denen Atom Egoyan filmische Verliese einrichtet, in denen ihre Manien im Kreis laufen. Doch in „Felicia, mein Engel“ kalkuliert er seine Symbolik so überdeutlich, dass sein Protagonist vor lauter Motivationen frühzeitig in die Knie gehen muss. Egoyan entdeckt das Erzählkino wieder. Aber eines, das so überraschungsfrei und plan bleibt, dass man nach der ersten Hälfte um sämtliche Wendungen in der zweiten schon weiß.

Da wird noch reichlich anekdotisch Hilditchs trübe Kinderzeit ausgeschmückt. Wir sehen ihn, wie er als kleiner dicker Junge in den Kochsendungen seine Mutter Gala parat steht. Ein vorgeführter dummer August, der gegen das Mikro stößt, wenn Gala zur TV-Nation spricht, und der sich gefährlich am Braten verschluckt, wenn er eigentlich schwärmen sollte.So kocht Hilditch noch heute gegen die mütterliche Ignoranz an, deckt sich allabendlich reichlich den Tisch, als könne die Mutter jeden Augenblick medeagleich in der Tür erscheinen und Joseph Ambrose endlich wahrnehmen. Oder besser noch verschlingen. Eine fantastische Symbiose für jemanden, der sich entschieden hat, die Welt mit dem Bauch zu begreifen.

Dass Einverleibungen auch Zeichen der Zuwendung sein können, präsentiert der Film hier im wörtlichsten Sinne und immer wieder auf dem Silbertablett. So taucht zum Beispiel jene Szene aus „Quo Vadis“ auf, in der der Kopf von Johannes dem Täufer der grausamen Kaiserin Poppaea wie eine königliche Schnittchenplatte kredenzt wird. Die grausame Herrscherin kann scheinbar gar nicht anders, als dieses losgelöste Haupt in die Hände zu nehmen und herzhaft auf den Mund zu küssen. Begehren kann eine einseitige Angelegenheit sein. Doch bei Atom Egoyan gerät dieser schlicht und ergreifende Umstand zur metaphorischen Völlerei.„Felicia, mein Engel“. Regie: Atom Egoyan. Mit Bob Hoskins, Elaine Cassidy, Peter McDonald, Kanada/Großbritannien, 116 Min.

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