piwik no script img

Prinzip Hoffnung

betr.: „Europa fordert: Schleich dich, Jörgl“, taz vom 1. 2. 00

Mein Herz schlägt links, für Jörg Haider habe ich also eigentlich wirklich nix übrig. Aber die Art und Weise, wie „Europa“ reagiert, halte ich für scheinheilig und auch für falsch. Wenn auch die FPÖ bei Neuwahlen die 30 Prozent überspringen würde, sind wir von den Verhältnissen wie bei Hitlers Machtergreifung weit entfernt, als marodierende SA-Horden Einschüchterung verbreiteten und Parlament und Verfassung undemokratisch aushebelten. Andererseits waren die Jahrzehnte der Machtaufteilung von ÖVP und SPÖ alles andere als musterdemokratisch, und die EU-Kommission ist dies heute noch nicht, sondern ein Musterbeispiel an Kungelei, das bald einer aus dem Parlament gewählten Regierung weichen sollte.

Der Respekt vor dem österreichischen Wählerwillen bietet die Chance, die starke Seite von Demokratie zu zeigen, mit Appeasement hat das nichts zu tun. Dieser Begriff passt besser zum Verhalten der EU gegenüber dem Völkermord in Tschetschenien. Die EU-Politik kommt mir vor wie einer, der zu Hause bei den Kleinen (Österreichs Wähler) den starken Mann markiert, aber draußen zusieht, wie Skinheads (Russlands Militär) einen Wehrlosen totschlagen.

Winfried Schneider, Düsseldorf

Da beschließen also die Außenminister der EU, Österreich zu isolieren, sollte die FPÖ an der künftigen Regierung beteilgt sein. Recht so! Ein Österreicher war genug! Wehret den Anfängen! Wenn sie die FPÖ in die Regierung lassen, sind wir nicht mehr nett zu ihnen! [...] Und die FPÖ-Wähler werden schwer beeindruckt, nein, erschüttert sein. Es ist doch klar, dass die österreichischen Wähler sich dann erst recht um Haider scharen werden, und sei es nur, weil sie die Kritik auf ganz Österreich (und damit auch auf sich selbst) beziehen.

Was mich hier so ärgert, ist die Gedankenlosigkeit oder, besser gesagt, gedankenlose Gesinnungstüchtigkeit, von der sich als progressiv verstehende Kreise offenbar leicht befallen werden. Und noch mehr stört mich die hier zutage tretende Unprofessionalität der europäischen Regierungen. So etwas macht man einfach nicht. Haider ist nicht Hitler, und wir schreiben weder 1933 noch 1938. Haider ist ein Rechtspopulist, der mit den fremdenfeindlichen Affekten seiner Mitbürger spielt. Schlimm genug. In Fragen wie Familiennachzug oder Arbeitserlaubnis für Ausländer wird sich die Lage wahrscheinlich verschlechtern. Nach den Äußerungen, mit denen Haider bisher auf sich aufmerksam gemacht hat, finde ich eine Regierungsbeteiligung der FPÖ auch nicht gerade erfreulich. Aber es gibt da zumindest noch einige Korrektive. Die FPÖ wird nämlich der kleinere Partner in einer Koalition mit der ÖVP sein. Und vermutlich gibt es auch in der österreichischen Verfassung ein paar Prinzipien, über die sich auch ein Jörg Haider nicht so einfach hinwegsetzen kann.

Also kein Anlass zur Besorgnis, alles in Ordnung? Das vielleicht nicht, aber zu Panik(mache), zum Überbordwerfen von gesundem Menschenverstand und politischen Prinzipien besteht auch kein Anlass. Johannes Schneider, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen