Grenzübertritt mit Hindernissen

Seit Januar gilt im EU-Anwärterstaat Tschechien ein neues Ausländergesetz. Folge: Grenzkontrollen werden verschärft

Prag (taz) – „Du musst zu dem da hinten“, sagt der tschechische Grenzbeamte in Tetschen (Decín) zu seinem Vorgesetzten. Der da hinten ist ein Ukrainer und will von Deutschland aus durch die Tschechische Republik nach Hause fahren. Bis Silvester 1999 war dies kein Problem. Doch jetzt ist an der tschechischen Grenze einiges anders geworden.

Seit dem 1. Januar 2000 gilt das neue Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern in der Tschechischen Republik. Mit skurrilen Folgen. Besagter Ukrainer muss eine Doppelkarte ausfüllen, zwei Lichtbilder beifügen, den Nachweis einer Krankenversicherung und eine Fahrkarte vorweisen sowie schließlich den Inhalt seines Geldbeutels präsentieren. Seine Barschaft muss für eine Übernachtung reichen, auch wenn er nur deshalb ein Hotelzimmer braucht, weil die Grenzbeamten ihn aus dem letzten Zug bitten, mit dem er in Prag noch einen Anschluss hat.

Doch nicht nur Bürger der GUS sind von diesen neuen Regelungen betroffen. Auch australische Mitarbeiter einer tschechischen Firma erwischte es unlängst kalt. Ihnen wurde am Flughafen die Einreisegenehmigung verwehrt. Das Visum, so die Auskunft, hätte vor Reiseantritt besorgt werden müssen. Möglichkeiten für ausländische Reisende, sich vorher eine qualifizierte Information einzuholen, gab es jedoch nicht. Denn selbst die Konsulate wurden auf diese Maßnahme nicht ausreichend vorbereitet.

Vor zehn Jahren wurde die Einführung des visafreien Verkehrs mit vielen Ländern gefeiert. Viel war seinerzeit die Rede davon, dass es nicht nur um eine Öffnung gegenüber dem Westen gehen sollte. Auch die östlichen Nachbarn sollten zu Europa gehören.

Die verhassten Doppelkarten, während der Herrschaft der Kommunisten noch ohne Fotos (Bilder wurden zum Visumantrag benötigt), verschwanden. Dann konkretisierten sich die Beitrittspläne zur Europäischen Union. Plötzlich wurde von Schengen gesprochen und von der allmählichen Anpassung an die Unionsregeln. Zudem machte die Teilung der Tschechoslowakei 1993 Sicherungen an der neuen tschechisch-slowakischen Grenze erforderlich. Für Prag aus gutem Grund: Illegale ukrainische Bauarbeiter gehören mittlerweile zum Alltag, und im Zuge der bewaffneten Konflikte im ehemaligen Jugoslawien flohen tausende auch nach Tschechien.

Diesen „Missständen“ soll das neue Gesetz abhelfen. In vielerlei Hinsicht vermittelt das Paragraphenwerk den Eindruck, als sei Tschechien bereits in der Union. Dann könnte man getrennte Schalter einführen: „EU residentials“ und „Non-EU residentials“. Doch die Tschechische Republik hat derzeit noch keine Regel, nach der sie zwischen „guten“ und „schlechten“ Besuchern unterscheiden könnte. Das liegt im Ermessen der Grenzbeamten. Die wissen jedoch nur wenig über die Anwendung des neuen Rechts. Mit der Folge, dass auch die „guten“ Besucher stundenlang in der Schlange warten, bis die „schlechten“ behandelt worden sind.

Ein Sprecher des Außenministeriums bemerkte, diese Unterscheidung des Innenministeriums sollte man nicht einführen, dies würde Besucher diskriminieren. Stattdessen soll es im kommenden Herbst eine Aufklärungskampagne zum neuen Recht geben.

Bis dahin gibt es mehrere Möglichkeiten. Im Gespräch ist eine vorübergehende Lockerung der Maßnahmen. Es kann auch dazu kommen, dass auf Druck von Vertretern von Wirtschaft und Tourismus eine generelle Novellierung des Gesetzes vorgenommen wird. Aber dazu müssten sich die beiden zuständigen Ministerien einigen: das Außen- und das Innenministerium. Doch wie Ministerien in Prag kommunizieren, zeigte unlängst der Rücktritt des tschechischen Botschafters in Moskau, Lubo Dobrovský. In seine Botschaft berief das Ministerium für Industrie und Handel Wirtschaftssekretäre – ohne voherige Ankündigung. Jaroslaw Sonka