Sich nur nach Dosen zu bücken reicht nicht

Die Agenda 21 wird zum Thema für Deutschlands Schulen. In Bielefeld trafen sich 150 Pädagogen und Bildungsplaner zu einem Kongress zum Thema Nachhaltigkeit und Schule. Die Bilanz nach drei Tagen: Erste Schritte werden gemacht ■ Von Yassin Musharbash

Der kleine, rundliche Mann beginnt mit seinem Diavortrag. Die Bilder zeigen Kinder in Indien bei der Arbeit, auf der Straße, beim Lernen. Einige lachen in die Kamera. Otto Herz, der am Diaprojektor steht, hat die Aufnahmen selbst gemacht. „Ohne Emotionen“, sagt er, als das Licht wieder an ist, „geht es nicht.“

Der Lehrer Otto Herz, der lange in Indien unterrichtet hat, hält einen der Einführungsvorträge bei der Tagung „Erziehung zur Nachhaltigkeit“, die Ende letzten Jahres in Bielefeld stattfand. Rund 150 Lehrer, Pädagogen und Bildungsplaner hat das Thema gelockt. Sie wollen darüber diskutieren, wie man Nachhaltigkeit, den Kernbegriff der Agenda 21 (s. Kasten), an Schulen umsetzen kann.

Zunächst müssen viele neue Begriffe geklärt werden. Unter den Rednern ist Otto Herz der Einzige, der Praxis an die Stelle von Theorie setzt. Schließlich hält er die Agenda 21 „für die großartigste Bildungsidee des Jahrhunderts“. Dann sagt er den Satz, der in den folgenden drei Tagen in zahlreichen Variationen immer wieder zu hören ist: „In allen Fächern, an allen Schulen können alle Lehrer alle Themen der Agenda 21 behandeln!“

Worum geht es eigentlich? Was die Agenda 21 ist, wissen die Lehrer oder können es nachlesen. Und Nachhaltigkeit? „Nachhaltigkeit ist mehr als Umweltschutz!“, sagt der aus den Niederlanden angereiste Experte Frits Hesselink und hat deshalb für Schulen, an denen man sich aufs Getränkedosensammeln beschränkt, nur ein müdes Lächeln über. Aber ist es etwa nicht nachhaltig, wenn die Schüler nebenher informiert werden, wieviel Müll in ihrer Stadt an einem Tag anfällt? Eine eindeutige Antwort findet niemand.

„Nachhaltigkeit“, sagt die Kenianerin Dorkas Onieto, „beginnt bei uns woanders als bei euch.“ Die Professorin aus Nairobi hat über Umweltschutzunterricht an deutschen Schulen promoviert und leitet heute eine regierungsunabhängige Organisation, die in Kenia die Koordinierung der Agenda-21-Aktivitäten vorantreibt. „Ich kann meine Leute nur vom Konzept der Nachhaltigkeit überzeugen, wenn für sie ein Nutzen sichtbar wird.“ Das heißt in Kenia: Armutsbekämpfung.

Kein Zweifel, die anwesenden Lehrer sind engagiert. Die Arbeitsgruppen am zweiten und dritten Tag firmieren in erster Linie als Informationsbörse, und langsam füllen sich die mitgebrachten Jutetaschen. Eine Schule aus Soest stellt ihr Agenda-21-Projekt vor. Dort greifen Schüler und Lehrer auf bereits bestehende Verbindungen ins Ausland zurück. Den Austausch mit ihren Partnerschulen in den Niederlanden, in Schweden, Polen und Ungarn nutzen sie für gemeinsame Wasseruntersuchungen. Mittlerweile haben sie die Bürgermeister der fünf Städte, in denen die Partnerschulen stehen, dazu gebracht, eine gemeinsame Resolution zum Schutz ihrer Gewässer herauszugeben. In diesem Jahr werden sich Schüler aller fünf Nationen eine Woche lang am niederländischen Ijsselmeer austauschen, um ihre Ergebnisse anschließend auf dem Hansetag in Zwolle zu präsentieren. Das ringt den Zuhörern Respekt ab.

Bei der Tagung wird aber auch deutlich, wie schwer es ein engagierter Lehrer an seiner Schule haben kann. Einige sprechen von Selbstausbeutung oder davon, dass sich die meisten Kollegen gerade erst an Umweltschutz als Lehrstoff gewöhnt hätten. „Und da will man ihnen nun sagen, dass das noch längst nicht alles sein kann?!“

Nach dem Verständnis der Vereinten Nationen soll Nachhaltigkeit soziale und ökologische Belange miteinander verbinden und diese auch noch mit ökonomischen versöhnen. Nachhaltigkeit bedeutet, langfristig zu konzipieren, in Zusammenhängen mehrerer Generationen zu denken. Ist diese Idee wirklich tragfähig? Einige der vorgestellten Projekte deuten darauf hin. Die Soester Schülerinnen und Schüler sind bei ihren Gewässeruntersuchungen auf Spuren der Vergangenheit gestoßen. Inzwischen arbeiten sie an einem zweiten Projekt: Sie sprechen mit Vertriebenen aus Polen und aus Soest. Solche Beispiele motivieren auch die, die noch nicht wirklich überzeugt sind. Lauscht man in den Pausen dem inoffiziellen Austausch, hört man hingegen noch oft von ganz kleinen Schritten.

Die Unesco backt demgegenüber größere Brötchen. Traugott Schöffthaler, Generalsekretär der deutschen Unesco-Kommission, gibt aber auch unumwunden zu, dass die Koordination innerhalb der Vereinten Nationen bisher miserabel ist. Immerhin investiere die deutsche Wirtschaft 2,3 Millionen Mark für die Erziehung zur Nachhaltigkeit. Dass diese Summe angesichts dessen, was benötigt würde, und der chronischen Finanzknappheit der Unesco verschwindend gering ist, sagt er nicht.

Die Unesco hat beschlossen, gezielt Projekte zu unterstützen. Eins davon ist der „Internationale Tag der Solidarität“ am 5. Juni dieses Jahres, an dem weltweit an Schulen Projekte zum Thema Nachhaltigkeit präsentiert werden sollen. Im Bielefelder Oberstufenkolleg, in dem auch diese Tagung stattfindet, wird der Tag koordiniert. Schon jetzt haben Schulen aus etlichen Staaten und allen Kontinenten ihre Teilnahme angekündigt. Nun wird es auch noch einmal richtig konkret: „Wir haben Kontakt zu einer Schule in Südafrika, können wir da mitmachen . . .?“

Solche Gespräche freuen Gottfried Strobl, den Organisator der Tagung und Lehrer am Oberstufenkolleg. Für ihn ist das wichtigste Ziel der Tagung, „dass Lehrer und Schulen sich nicht nur Solardächer bezahlen lassen“, sondern das hier Erfahrene „in persönliches Handeln integrieren“. Und am Ende der Tagung steht eine vorsichtig positive Bilanz: Verhaltener Optimismus, dass das Thema Nachhaltigkeit an Deutschlands Schulen seinen Platz finden wird, scheint angebracht.