: Tristesse royale
■ Schwarze Vögel in der Brust: Die Fado-Sängerin Misia zeigtein der Philharmonie, wie cool, elegant und gepflegt man leiden kann
Das nennt man wohl einen Karrieresprung. Vor knapp zwei Jahren gastierte die portugiesische Sängerin Misia noch im engen und stickigen Pfefferberg. Im letzten Jahr trat sie bereits im Haus der Kulturen der Welt auf, inzwischen sieht man sie in der Philharmonie. Auch wenn der Saal längst nicht ausverkauft war, und manche Ränge ganz leer blieben, war es doch der ideale Rahmen für diese Interpretin jenes portugiesischen Sehnsuchtsgesangs namens Fado.
Dieser entstand einst in Lissabons Hafenkneipen und Bordellen und ist dort bis heute in den mittlerweile von Touristen und Studenten frequentierten Altstadtvierteln zu Hause. Denn schummrige und schmuddelige Spelunken, der ursprüngliche Nährboden des Fado, sind Misias Sache nicht. Sie braucht Raum und ein elegantes Umfeld für ihre Art, der Kunst des portugiesischen Klagelieds wieder zu Glamour und Glorie zu verhelfen. Dafür setzt sie auf eine markante Ästhetik.
Misias strenge Pagenfrisur und die roten Lippen im bleichen Gesicht wirken absichtsvoll überzeichnet, in ihrer morbiden Vieldeutigkeit scharf akzentuiert. Ihr Äußeres geht mit der Musik, als deren jüngste Inkarnation sie sich selbst versteht, zum sorgsam konzipierten Gesamtkunstwerk auf. Drei Herren in Schwarz, die mit ihren Gitarren auf im Halbkreis hergerichteten Stühlen Platz nehmen, eröffnen den Abend mit einer instrumentalen Einleitung.
Erst dann erscheint Misia auf der Bühne, im roten Kleid und einem schwarzen Schultertuch, dem klassischen Umhang der Fado-Sängerinnen. Später folgen ihr ein Geigenspieler und ein Akkordeonist – Letzterer ist Ricardo Dias, Arrangeur und Produzent von Misias Platten; er begleitet sie auch am bereitstehenden Flügel. Einen Satz hat Misia auf Deutsch einstudiert: „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, die Musik meines Landes zu hören.“
Dabei ist sie weit mehr als bloß eine schlichte Folklore-Botschafterin, sie hat die engen Grenzen des Fado erfolgreich erweitert. Misia hat den Fatalismus des Fado popfähig gemacht, bei ihr wird er zur wahren Tristesse royale. Traditionelles Liedgut verbindet sich mit zeitgemäßer Lyrik. In ihrem Repertoire finden sich vertonte Gedichte moderner Klassiker wie Fernando Pessoa, und hochkarätige Autoren wie Portugals Literaturnobelpreisträger José Samarago steuerten ihr Texte bei. So pflegt und revolutioniert Misia das Genre gleichermaßen und weist ihm eine Zukunft jenseits des Museums.
Es gibt viele schöne Definitionen für den Fado. Misia übersetzt eine davon, ein Zitat aus einem Lied natürlich: „Ein schwarzer Vogel, der unserer Brust entweicht, wenn wir des Nachts alleine zu Bett gehen“. Seufz. Misia zelebriert den Fado, aber sie wahrt ironische Distanz. Er ist für sie keine todernste Angelegenheit, sondern eine kunstvolle Inszenierung. Cool verkörpert sie das gepflegte Leiden. Extrem stilisiert, aber ohne dabei zur Karikatur zu gerinnen. Mal wiegt sie sich kokett und schnippisch im Takt, mal scherzt sie mit dem Mann am Bass.
„Er benimmt sich heute nur so gut, weil er in der Philharmonie ist“, sagt sie, und er kräuselt die Augenbrauen und grinst. Nach einer knappen Stunde und drei Zugaben verabschiedet sich Misia mit beidhändiger Kusshand und einem Knicks vom Publikum, das stehend und sehr begeistert Beifall spendet, und hüpft von dannen. In Portugal, so heißt es, lassen selbst sehr gefasste und disziplinierte Menschen ihren Gefühlen freien Lauf, wenn der Fado sie überkommt.
Ich muss zugeben: Auch ich habe geweint. Allerdings weniger aus Ergriffenheit als aufgrund meiner Erkältung. Mir schossen die Tränen in die Augen bei dem Versuch, meinen hartnäckigen Reizhusten zu unterdrücken. Das ist der Nachteil an einem Ort wie der Philharmonie: Dort gilt schnell als unanständig, was in einer rauchigen Hafenkneipe niemanden stört. Daniel Bax
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