Fetzig macht selig

Stangencarving, Freestyle, Boardercross: Snowboarder positionieren ihre Disziplinen an den TV-Bedürfnissen ■ Vom Zugspitzplatt Fred Stein

Garmisch (taz) – Das ist wieder ein verschärfter Spaß gewesen, was da abging an den tollen Snowboardtagen von Garmisch-Partenkirchen. Swatch-Piranha-Party am Freitag, Live-Konzert am Samstag mit April Haze und anschließender Funk Party, Open End. Yeah. Und tagsüber Wettkampfsport in der Halfpipe, vor allem aber: Boardercross. Die Weltcuprennen des Pionierverbandes ISF fanden zwar ein bisschen weit entrückt vom Normalbürger statt – in 2.600 Metern Höhe, eine Stunde mit der altersschwachen Zahnradbahn vom Ortskern entfernt auf dem Zugspitzplatt. Aber egal: Inszeniert wurde da schließlich die nach Ansicht aller Snowboarder rassigste und spektakulärste Disziplin des vereinten Wintersports. Selbst ein vergleichsweise nüchterner Boarder wie der Schweizer ISF-Präsdident Bertrand Denervaud (29), selbst noch aktiver Profi, lobt: „Das ist eine Fernsehshow“, sagt er, „Boardercross hat die beste Zukunft.“ Selig macht, was fetzig ist.

Die Snowboardprofis könnenviel erzählen von der Hingabe zu ihrem Schneegesurfe und dem geilen Gefühl, frei wie ein Albatross Pulverschneehänge zu durchpflügen – zunächst einmal geht’s ums Geschäft. Dieses aber läuft nur, wenn die Rennen ordentliche TV-Bilder hergeben, in denen sich dann auch die Sponsoren wieder finden. Und das tut der Sechserkampf im Hindernisparcours. Die Szene hat im Boardercross, der in Europa erst vor sechs Jahren Premiere hatte, ihr Lieblingskind gefunden, und lobt ihn eifrig.

Dafür sind die anderen Disziplinen ein bisschen ins Abseits gerückt. Die Halfpipe-Bewerbe, seit 1998 olympisch, zum Beispiel. „Zu schwer zu verstehen“, urteilt Denervaud. Abschaffen will sie keiner, und sie zu reformieren, wird schwer. Aber irgendwie ahnt Denervaud, dass die Halfpipe-Darbietungen auf Dauer ein Ereignis für einen exklusiven Kreis von Liebhabern und Snowboardexperten sein wird. Und bei den Alpindisziplinen sehen die ISF-Anhänger sogar richtig Handlungsbedarf. Vor allem der Riesenslalom, die zweite olympische Disziplin, ist vielen zu dröge geworden, weil zu klassisch, von der Dramaturgie zu ähnlich dem Pendant im Skifahren und zuwenig den kecken Freigeist des Snowboardens widerspiegelnd. „Beim Skifahren ist das die schönste Disziplin“, sagt ISF-Geschäftsführer Ralf Scheitenberger, „beim Snowboarden kommt’s nicht so rüber.“ Außerdem ist das Alpin-Material nicht mehr recht zeitgemäß für den gewöhnlichen Kunden. Softboots und kurze Freestyle-Bretter sind bei der Kundschaft gefragt, weniger die klobigen Hartschalenstiefel und sperrigen Rennbretter – darauf müssen die Alpinisten reagieren, wollen sie auch weiterhin gut bezahlte Werbeträger der Industrie bleiben. Bertrand Denervaud gebietet: „Der Alpinbereich wird sich Zeit nehmen, um sich eine eigene Disziplin zu entwickeln.“

Das bedeutet: Gebastelt wird künftig am Lieblingssport der Stangencarver, getestet und probiert, was die attraktivste Variante des Slaloms sei. „Ich find das gut“, meldet sich prompt Katharina Himmler (24) aus München, „damit man nicht das ganz Stupide hat: einen Hang und da steck ich meine Tore rein.“ Auch wenn dabei in ihrem Spezialbereich gewildert wird. ISF-Weltmeisterin im Parallelslalom und Riesenslalom wurde sie im vergangenen Jahr, sie ist eine begnadete Kurvenfahrerin. Jetzt erlebt sie, wie an ihrem Fachgebiet herumgetüftelt wird. Am vorvergangenen Wochenende in Fieberbrunn zum Beispiel machten sie und ihre Kollegen bei der Premiere im Duel Cross mit, einem Parallelriesenslalom mit eingeschraubten Sonderschwierigkeiten. Katharina Himmler wurde Fünfte, fand die neue Disziplin „aufwendiger“ wegen der Sprünge und krasseren Rhythmuswechsel. Aber grundsätzlich nicht schlecht.

Wer weiß, was sie demnächst noch alles an neu erstellten Kursen durchfahren muss. Was die Kreativgeister unter den Snowboard-Vermarktern noch für Ideen einbauen in den Stangenwald. Katharina Himmler wird sich das geduldig anschauen, mitprobieren und bisweilen ihre Meinung dazu sagen. Eines ist ihr schon wichtig: dass aus ihrer Leidenschaft keine ganz neue Disziplin wird. Sie sagt: „Alpinfahren heißt Kurven fahren mit Schräglage.“ Ganz einfach, und so soll es bleiben. Ob das nun verbraucherfreundlich ist oder nicht.