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Im Konfirmandenanzug für Mumia

Radikale Linke und Schüler in Edelklamotten kämpfen gleichermaßen für das Leben des US-JournalistenMumia Abu-Jamal. Im April soll die Entscheidung über eine neue Beweisaufnahme fallen ■ Von Gunnar Mergner

Berlin (taz) – Das verlängerte Wochenende in Berlin hat Roger Hasenbein wieder zwei Urlaubstage gekostet. Der 42-jährige Sozialarbeiter aus Hamburg erzählt das ohne Bedauern. Schließlich will er ein Leben retten: In diesen Tagen, so glaubt Hasenbein, gehe der Kampf für Mumia Abu-Jamal, den in den USA zum Tode verurteilten afroamerikanischen Journalisten, in die entscheidende Runde.

Hasenbein, linker Aktivist alter Schule, ist Sprecher des „Bundestreffens der Solidaritätsgruppen für Mumia Abu-Jamal“ und als solcher immer an vorderster Front dabei. Am vergangenen Samstag organisierte er mit anderen AktivistInnen die bundesweite Demonstration in Berlin. 8.000 Menschen sollen es gewesen sein, die vor die US-Botschaft zogen. Die Demonstranten sind gegen die Todesstrafe und für – ja, für wen eigentlich?

Mumia Abu-Jamal ist für sie zu einem Politikum, zu einem internationalen Symbol gegen die Todesstrafe geworden. In seinem Leben vor der Todeszelle war der heute 45-jährige Afroamerikaner Radiojournalist. Ein ehemaliges Mitglied der Black Panther Party, das sich offen gegen Rassismus und Polizeigewalt stellte und sich damit unbeliebt machte.

Seit 18 Jahren sitzt er schon „on Death Row“, in der Todeszelle. Weil er in der Nacht des 9. Dezember 1981 den weißen Polizisten David Faulkner erschossen haben soll. Eine Version, die nicht nur von Widerstandsromantikern bezweifelt wird.

Der Bürgerrechtsanwalt Leonard Weinglass, der sich seit 1992 um ein neues, faires Verfahren bemüht, hat mit Gegenbeweisen ein ganzes Buch gefüllt. Zeugen sollen im Prozess von 1982 bestochen, Beweise unterschlagen worden sein. Abu-Jamal sei von einem unwilligen Pflichtverteidiger im Stich gelassen worden, klagt Weinglass. Alles in allem sei es nur darum gegangen, die unbequeme „Stimme der Stimmlosen“ zum Verstummen zu bringen.

Das Gegenteil geschah. Im Gegensatz zu den mehr als 3.000 anderen Todeskandidaten in den USA ist dieser Mann berühmt. Abu-Jamal hat nie aufgehört zu schreiben, die Texte aus der Todeszelle werden auch in Europa erfolgreich verbreitet. Dafür haben Menschen wie Roger Hasenbein sich „die Hacken abgelaufen“. Denn „als wir 1989 anfingen, war Mumia hierzulande genauso unbekannt wie all die anderen.“

Es waren Aktivisten aus der Solidaritätsbewegung für politische Gefangene, die im Rahmen ihres Rundumprotests auch die Forderung nach Freilassung Mumia Abu-Jamals auf ihre Transparente malten und durch Deutschlands Städte trugen.

Im Laufe der Jahre entwickelte ihr politisches Engagement eine leichte Neigung zur Verklärung: Der Journalist sei weniger eine revolutionäre Ikone, sondern „einfach einer, der nicht aufgehört hat zu sagen, was er denkt“, begeistert sich Hasenbein. Klar sieht er die Vorteile, die Abu Jamal gegenüber den „normalen“ Todeskandidaten hat: Die Hartnäckigkeit, mit der er aus der Zelle heraus auf sich aufmerksam macht, machen die Öffentlichkeitsarbeit für Abu-Jamal zu „einer dankbaren Geschichte“.

Der harte Kern der Solidartitätsbewegung besteht aus wenigen Menschen. Paula und Matthias zum Beispiel, die eigentlich ganz anders heißen, aber lieber nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden möchten. Die 31-jährige Sozialpädagogin und der 22-jährige Jurastudent gehören zu den etwa hundert Aktivisten in Deutschland, die unzählige Internet-Seiten beschriften, Geld sammeln oder Abu-Jamal in seiner Zelle in den USA besuchen. Leute, die im Hintergrund bleiben möchten, um nicht „Repressionen der Amis“ ausgesetzt zu sein.

Aber es gibt auch die anderen, diejenigen, die sich gerne ins Rampenlicht stellen. Viele der Demonstranten am vergangenen Samstag sind noch keine 18 Jahre alt. Wenn Widerstand zum Happening wird, sind alle dabei.

In Hamburg sorgte vor einiger Zeit ein Schülerbündnis als etwas anderer Demonstrationszug für Aufsehen. In Konfirmandenanzügen und Abendkleidern zogen sie in gemieteten Limousinen durch die Hansestadt – eine Demo de luxe. „Wir aus der radikalen Linken haben da immer etwas anders gearbeitet“, grinst Hasenbein, lobt aber die „fantasievollen Aktionen“, mit denen man heute für seine Ziele eintritt.

Es ist die Spaßkultur, die sich die Rettung Abu-Jamals auf ihre Fahnen geschrieben hat. Auf Konzerten der Band Rage against the machine, die dem Todeskandidaten einen Song gewidmet hat, stehen die Kids zuerst etwas ratlos vor dem Infostand der Soli-Bewegung. Doch nachdem ihre Idole ihnen von der Bühne herab politische Nachhilfe erteilt haben, „stürmen sie den Stand“, erzählt Hasenbein.

In den letzten Jahren beginnt das Engagement Früchte zu tragen. Fast 10.000 Unterschriften zählt die Petition an Bundesrichter William Yohn, der das weitere Schicksal Abu-Jamals in Händen hält. Zu den Briefeschreibern zählen Literaturnobelpreisträger Günter Grass, Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker sowie etliche Bundestagsabgeordnete der Grünen und der PDS.

Diesmal geht es juristisch gesehen um Folgendes: Grundlage des beantragten neuen Verfahrens wäre erneut die dünne Beweisbasis von 1982. Die von Anwalt Leonard Weinglass akribisch gesammelten Beweise tauchen in diesen Ordnern nicht auf. Der zuständige Bundesrichter William Yohn müsste über seinen Schatten springen: Er müsste via Anhörung die neuen Beweise in das Verfahren aufnehmen. Sonst, so will es das Gesetz, sind diese für immer verloren.

Yohn wird seine Entscheidung im April treffen. Bis dahin wollen Roger Hasenbein und die anderen die Proteste aufrechterhalten, um den Richter zum Umdenken zu bewegen. Dass das Engagement Wirkung zeigt, bestätigt auch Abu-Jamals amerikanischer Verteidiger Leonard Weinglass. Er ist überzeugt: „Hätte es nicht die Unterstützung aus Deutschland und anderen Ländern gegeben, wäre Mumia Abu-Jamal heute schon nicht mehr am Leben.“

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