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Darts und Dali, Zöpfe und Halfzware

Wahre Lokale (6): Das „Kuba“ im rheinhessischen Alzey

Wer in einer ganz normalen Stadt, zumal wer in einer Großstadt lebt, muss sich über verhasste Kneipen kaum beschweren, weil es dort Auswahl gibt. Anders in Kleinstädten. Hier reicht das Angebot meist nur von Dönerläden und Pizzerien bis zur Pilsstube am Bahnhof, von dubiosen Bierspelunken mit Namen wie „Zum Kriegerdenkmal“ bis zu den üblichen Tussie-Anbagger-Tanzbungalows im vorstädtischen Gewerbegebiet, deren Freiluftscheinwerfer eine Mischung aus Frankfurter Flughafen und dem Lichtdom von Albert Speer abgeben. Für in solchen Kleinstädten aufwachsende Jugendliche, die weder auf den jeweils neuesten Ibizza-Tanzhit stehen noch auf von Fritierfett überzogene Zapfhähne, bleibt in der Regel nur eine einzige Kneipe, betrieben von einem windigen Besitzer, der geschäftstüchtig genug gewesen ist, sich auf weiter Flur das Monopol für solch eine sowohl alternativ wie jugendlich anmutende Kneipe gesichert zu haben.

Die Kleinstadt, in der aufzuwachsen ich meine Eltern verantwortlich machen muss, heißt Alzey und liegt in der rheinhessischen Provinz zwischen ähnlich namhaften Metropolen wie Mainz, Kaiserslautern und Worms. Es ist ein von zwei imposanten Autobahnbrücken flankiertes Städtchen im Talkessel, in dem eine Pizzeria nur deshalb überleben kann, weil sie gegenüber des Friedhofs liegt. Von hier aus ist es möglich zu beobachten, wer an wessen Beerdigung teilnimmt.

Seit rund 30 Jahren existiert dort eine Kneipe, die zwar offiziell den ihr angemessenen Namen „Pfälzer Wald“ trägt, von Besuchern aber exotisch „Kuba“ genannt wird, nicht aufgrund irgendwelcher Revolutionsromantik, sondern weil deren Besitzer Kubatschek heißt. Dieser gerissene Geschäftsmann hat es verstanden, mehr als drei Generationen von Gästen an seine Kneipe zu binden und zu den Alkoholikern werden zu lassen, zu denen sie wahrscheinlich anderswo auch, aber angenehmer, geworden wären, indem er den einzigen Ort in Alzey geschaffen hat, der nicht sofort mit Kriegsveteranen und schnauzbärtigen Schlumpftechno-Hörern in Verbindung gebracht wird. Das ist aber auch schon alles.

Notgedrungen treffen sich hier die Langhaarigen, die Punks, die Kiffer, die Rotwein trinkenden Dostojewski-Leser und überhaupt all jene, die andernorts nach zehn Minuten verdroschen werden würden. Doch um welchen Preis! Keine Tracht Prügel der Welt ist schmerzhafter als in Wechselrahmen gehängte Bilder von Salvador Dali oder Motive von satten irischen Wiesen, unterspült von einer Brühe namens Guinness, die einen diffusen Schiss aus erbsengroßen Bröckchen und Wasser verursacht.

Passend zu einem solchen Ambiente, in dem weit über ein Drittel der Besucher bis zum Arsch reichende Zöpfe trägt, Halfzware dreht und den Körper mit einem Kleidungsgemisch aus Leder, Jeans und Jack Wolfskin bedeckt, ist die genau zwischen Eingangstür und Tresen platzierte Dart-Scheibe. Weil Dart noch immer zu den beliebtesten Freizeitsportarten der Provinzler gehört, bekommt jeder neu ankommende Gast, der den Gang zum Tresen nicht auf allen vieren zu meistern weiß, je nach Wurfheftigkeit die Schläfe gepierct oder das Hirn zersiebt.

Wohl dem, der an einem solch schnellen Hirntod stirbt. Der nämlich muss weder Meat Loaf, Manfred Mann’s Earth Band, Marillion, AC/DC noch Foreigner weiterhin anhören und daran verzweifeln. Wer dann noch das Glück hat, mit einem der zopftragenden, unrasierten, Halfzware drehenden, seit 20 Jahren hier hängen gebliebenen Stammkunden am Tresen über Joschka Fischer, Shit-Genuss in Kombination mit Joghurt oder die Beschaffung von Mischbetonplatten für den Vorgarten diskutiert zu haben, wird die von einem Barcley-James-Harvest-Stück angekündigte „letzte Runde“ herbeisehnen. Martin Büsser

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