: Ende der Kindheit
Der unsentimentale Blick mit zwölf: „George Washington“ im Forum
Kindheit kann eine lästige Angelegenheit sein. Wenn die eigene Haut irgendwie zu eng wird, dannwird es Zeit, die Pubertät endlich hinter sich zu bringen. Davon ist Nasia überzeugt. Sie ist zwölf, und sie hat es eilig. Für alberne, unreife Männer ist das Leben zu kurz.
So spricht Nasia, wenn ihre älteren Schwestern dabei sind. Dann lackieren sie sich gegenseitig die Fingernägel und reden dabei über die Liebe und die Männer wie der Bäcker übers Mehl. Doch in diesem Flecken Texas, zwischen Maschinenschrot und Wohnbaracken, blühen so recht keine Leidenschaften. Alles lebt geduckt. Selbst der Tag scheint zu kriechen. Wie die halb tote Schlange, die vor dem anrollenden Müllkran noch einmal ihren Leib davonrafft, bevor sie ganz zerfleddert. Mehr Leben steckt auch nicht in den Erwachsenen. White und Black Trash leben hier in apathischer Ruhe nebeneinander. Wer Arbeit hat, ist König.
Nasia verliebt sich in George. Der ist immerhin ein paar Monate älter als sein Vorgänger Buddy, nicht so spillerig und hat noch Großes vor. Präsident von Amerika und 100 Jahre will er werden. Eigentlich hat George nur vor einem Angst: Es könnte ihm etwas zu Schweres auf den Kopf fallen und damit seine Präsidentschaft, den Weltfrieden und andere Heldentaten verhindert. Deswegen trägt er einen Footballhelm.
Den hätte auch Buddy gut gebrauchen können, als er im Jungenklo bei einer Rangelei ausrutscht und unglücklich aufschlägt. Da ist es vorbei mit der lästigen Kindheit und der Unschuld. So hocken die Freunde beieinander, schaffen ihr lebloses Unfallopfer an einen versteckten Ort, taufen ihn für alle Fälle noch einmal und haben mordsmäßigen Schiss. David Gordon Greens Debüt „George Washington“ imitiert den Blick einer 12-Jährigen. Mal fahrig wie bei einer launischen Beobachterin, mal verstohlen wie bei einer Ertappten, mal direkt und unversöhnlich, wie bei einer Empörten. Aus dem Off erzählt Nasia die Geschichte von George, Buddy, Vernon und Sonya, der einzigen Weißen im Freundeskreis, die redet, als hätte sie höhere Eingebungen, und aussieht, als wäre sie dabei mit ihrer Weisheit ständig auf der Flucht. Ohne jede Anbiederung präsentiert Green die großspurigen Vorhaben wie die kleinmütige Kompromisse der Pubertierenden. Ein verhuschter, schöner Film über die Unfälle beim Erwachsenwerden und die Schwierigkeiten mit dem Heldentum. Und wenn George sich Sprinterdress und Umhang überstreift, dann alten Frauen über die Straße hilft, geht auch ihm auf, dass die Triumphe eines Supermanns nicht ohne drollige Ausstattung zu haben sind. Birgit Glombitza„George Washington“. Regie: David Gordon Green, USA, 89 Min. Heute, 19.30 Uhr, CineStar 8, 12. 2., 14.30 Uhr Arsenal, 13. 2., 19 Uhr, Babylon
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen