piwik no script img

Muster wie Puzzleteile

Zu viele Martinis? „Inselgeschichten“von Stanley Kwan verwirren im Wettbewerb

Fragen Sie nicht, auf welcher Insel dieser Film spielt. Spielt auch keine Rolle. Die sieben Protagonisten dieses Films sind Chinesen und Japaner. Drei Männer und vier Frauen sitzen auf einer Insel fest, die niemand verlassen und niemand betreten darf. Der Staat hat Quarantäne verhängt, weil angeblich eine tödliche Virusseuche von der Insel kommen soll. Die Quarantäne wird nach 15 Stunden wieder aufgehoben, weil die Seuche vielleicht doch woanders herkommt. Spielt keine Rolle.

Worum geht’s dann? Ich würde sagen, es ist eine Untersuchung über die Auswirkungen von Dope und reichlich Martinis in Verbindung mit Verzweiflung über einen möglichen, ganz ungerechtfertigten frühen Tod, Kindheitstraumata infolge rüden Liebesentzuges durch alkoholkranke Brüder und die verheerenden Auswirkungen des Ruhms auf die junge männliche Psyche. Meines Wissens hat das nichts mit Luhmann zu tun. Immerhin.

Die Stimmung unserer sieben schwankt heftig. Das ist angesichts der Seuche verständlich. Wären diese Schwankungen nur nicht so unscharf: Der Japaner versichert einem Freund brieflich, er habe entdeckt, dass die Sonne jeden Tag aufgeht, und sei jetzt sehr glücklich. Kurz darauf wälzt er sich hysterisch kichernd neben einer Leiche. Weltschmerz? Zu viele Martinis? Eine verdorbene Olive? Diese Ungewissheit ist für den Zuschauer zermürbend. Manchmal fühlt er geradezu Hass aufsteigen: etwa wenn eine Inselbewohnerin die Gründe, warum sie vor einem Ausflug nicht aufs Klo gegangen ist, mit einer Ausführlichkeit erörtert, dass man ihren frühen Tod für extrem wünschenswert hält.

In einer Szene tanzt der Japaner kreischend durch ein Zimmer, das mit einer roten Tapete beklebt ist, auf die ein Muster wie Puzzleteile gezeichnet ist. Der Zuschauer sieht den Jungen vor diesem Muster tanzen und fühlt ein merkwürdiges Ziehen in den Eingeweiden: Für einen denkenden Menschen ist es einfach erschütternd, zu sehen, wie der geballte Schwachsinn mit hinreißenden Bildern zu einer Einheit verschmelzen kann.

Anja Seeliger You Shi Tiaowu; Regie: Stanley Kwan. Mit: Michelle Reis, Shu Qi, Takao Osawa. Hongkong/Japan, 104 Min. Heute, 21 Uhr, Royal Palast, 13. 2., 20 Uhr, International

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen