piwik no script img

Februarschäden etc.Liebenswerte Einzelmöbel

Matthias hat schlechte Laune, die Heizung leckt, und wer kein naturverbundener Mensch ist, hat jetzt schlechte Chancen. Das Jahrhundert ist schon 45 Tage alt: Zeit für eine Bilanz

Das Jahrhundert läuft, jetzt ist Februar. Zeit für Bilanzen. Gegen Depressionen hilft das Gesundbrunnen-Center. In das Wasser des Indoor-Brunnens wird CK-One-Parfüm reingemischt. Das ist billiger Luxus, der funktioniert. Trotzdem hat sich Trauer aus dem alten Jahr rübergerettet.

Matthias war deprimiert, weil er 1999 kein einziges Mal getanzt hatte. Im „Kaffee Burger“ hatten die Leute am Nachbartisch riesige Ohren vom Mitlauschen unserer Jahrhundertbilanz. Ausgelassen brüllte Matthias sie an: „Ich hab mich letztes Jahr blutig gewichst“, und die Ohren wurden wieder klein. Am selben Tag wanderte Matthias’ Nachbarin unverhofft in seine Wohnung. Anstatt „Guten Morgen“ zu sagen, rief die alte Frau: „Huch, ick hab ja jar nüscht inne Fresse!“ Schnell rannte sie raus und holte ihr Gebiss. Dies brachte Matthias gute Laune. Mittlerweile ist sie wieder verflogen, weil er ein Referat über Nazi-Rassenkunde machen muss. Gestern verabschiedete er sich mit: „Wenn ich bei 1945 bin, ruf ich wieder an.“

Alleingelassen stolperte ich in die Partnersuchsendung „Je t’aime. Wer mit wem“. Wer ernsthaft traurig ist, sollte davon unbedingt die Finger lassen. Gedrückte Menschen, deren Lustigkeit sich im Kauf von „Haxn abkratzn“-Fußmatten enthemmt, suchen einander. Dafür haben sie einen dürren Text auswendig gelernt („Ich wünsche mir in der Freizeit ein Fußballspiel vor dem Fernseher“), den sie schwitzend und blinzelnd zum Besten geben. Aufgebaut sind diese Menschen vor einem Kaminfeuer, im Hintergrund läuft Violinenmusik. Toll sind die altertümliche Floskeln, die sie benutzen. („Dann greif zu Papier und Tinte“). Gewollt werden immer „naturverbundene“ Menschen. Ich bin nicht naturverbunden, also unerwünscht. Trost spendet in diesem Fall ein Satz aus dem „Multipolster“- Prospekt: „Irgendwo gibt’s immer ein Plätzchen für liebenswerte Einzelmöbel.“

Andere schaffen ihren Kummer mit Alkohol weg. Der Postbote in der Christburgerstraße ist schon morgens mit Bierflasche unterwegs. Das nenne ich naturverbunden. Indes ist der einzig wirklich materielle Schaden, der 2000 bisher aufgetreten ist, eine lecke Heizung gewesen. Die wurde erst gegen 23 Uhr entdeckt, wenn Heizungsmonteure keine Sprechstunde mehr haben. Der extrem flach-schmale Topf, der unter den heftig tropfenden Heizkörper passte, war alle zwanzig Minuten voll. Also durchmachen. Auf Spendenaffäre wach bleiben klappte zuerst gut. Bei Bärbel Schäfer „Ich will ein Kind, aber nicht von dir“ verlor ich die Nerven und hätte fast 400 Mark für einen Installateur-Notdienst aus dem Fenster geschmissen. Ein Glück erinnerte mich die CDU auf Sat.1 wieder an finanzielle Situationen und brachte mich mit Spaß und Topfausleeren in die Morgendämmerung. Irgendwer hat gesagt, Angela Merkel ist wie Willy bei Biene Maja. Das stimmt.

Kirsten Küppers

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen