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Willkommen in Brandenburg

■ In einem offenen Brief baten 47 Asylbewerber aus Rathenow darum, Brandenburg verlassen zu dürfen. Der tägliche Rassismus sei unerträglich. Doch die Stadtoberen finden das alles ganz normal

Seine Stadt sei nicht gefährlicher als andere in Brandenburg, betont Bürgermeister Hans-Jürgen Lünser immer wieder

Anfang Februar noch hatten Rathenows Asylbewerber Angst um ihr Leben. „Bitte, bitte, bitte“, flehten 47 Flüchtlinge in einem Brief an die örtliche Polizei, „lassen Sie uns in ein anderes Bundesland umziehen.“ Zehn Tage später lässt die Leiterin des Asylbewerberheimes kühl wissen. „Die Probleme sind inzwischen alle besprochen. Ab jetzt ist Schluss mit dem Rummel! Es gibt keinen Protest mehr, es gibt keine Interviews mehr!“

Vor dem Eingang des Hauses ist es mit dem schnellen Frieden, den Frau Pagel gerade verordnet hat, allerdings schon wieder vorbei. Salou Abdul Salam steht in der Tür und sagt: „Nein, ich habe immer noch Angst. Was hat sich denn geändert? Die rechten Schläger sind doch immer noch da und schüchtern uns ein.“ Der 21-Jährige stammt aus Togo. Er ist einer der Mitunterzeichner des Memorandums. Insgesamt leben 169 Asylbewerber aus 23 Nationen in Rathenow, verteilt auf zwei Heime. Viele haben sich aus Angst vor Ärger mit den Behörden nicht getraut zu unterschreiben.

Das Haus, in dem Salam wohnt, steht mitten in einer tristen Stadtrandgegend. Der verwohnte Plattenbau hinter dem Bahnhofsgelände war früher ein Lehrlingsinternat. Die Zimmer sind klein, Viererbelegung normal. Trotz der Enge verlässt Salam nur selten das Haus und wenn, dann niemals allein. Abends geht er seit einiger Zeit überhaupt nicht mehr weg. Silvester wurde einer der Asylbewerber in einer Disco krankenhausreif geschlagen. Es war nicht der einzige Übergriff.

Aber es geht nicht nur um pure Gewalt. Es sind auch die alltäglichen Demütigungen, denen die Flüchtlinge ausgesetzt sind. „Der Hass sitzt tief, das merke ich immer wieder“, sagt der junge Mann aus Togo resigniert. Wenn er in Rathenow unterwegs ist, zeigen die Rechten ihm den Stinkefinger, rufen „Nigger“ und spucken vor ihm aus. Beim Einkaufen hört er Kommentare wie: „Du hast die Bananen vergessen.“

Seit dem offenen Beschwerdebrief übt man sich von offizieller Seite in Krisenmanagement. Mehr als die üblichen Reaktionen sind bisher aber nicht zu vermelden. Das Landratsamt veranstaltete einen Runden Tisch und setzt weiter auf „regelmäßige Gespräche“. Die Polizei stellte Streifenwagen vor die Heime und verspricht verstärkte Aufklärung der bisherigen Straftaten. Die Kirche sucht Familien für Patenschaften. Und auch Bürgermeister Hans-Jürgen Lünser hat schon eine gute Tat vollbracht: Als am Freitag in der Stadt eine Skaterbahn eröffnet wurde, holte er die Asylbewerber mit dazu. Was für ein prima Fotomotiv! Rathenower Kinder, Eltern, Lokalpoltiker und Ausländer in trauter Gemeinschaft. Schöne konstruierte Wirklichkeit. Als ob ein einziges Bild das gängige Etikett von der „rechten Hochburg“ dementieren könnte.

Seine Stadt sei „nicht gefährlicher als andere in Brandenburg“, betont Bürgermeister Lünser immer wieder. Zum Beweis, dass nicht nur prügelndes Jungvolk heranwächst, sollte gar Fußballnationalspieler Jörg Heinrich eingeflogen werden. Der Rathenow-Sprössling, inzwischen beim FC Florenz beschäftigt, bekam aber keinen Heimaturlaub. Das Mini-Idol gehört zum letzten Aufgebot eines nur noch spärlichen einheimischen Selbstbewusstseins. Die „Stadt der Optik“, wie sich Rathenow selbst am liebsten nennt, hat längst ihre stabilisierende Mitte verloren. Seit der Wende fehlt der 28.000-Einwohner-Kommune ein verbindendes Gemeinschaftsgefühl. Im Ort wurden einst die geschliffenen Brillengläser erfunden, später folgten die großen „Rathenower Optischen Werken“. Zu DDR-Zeiten wichtigster Arbeitgeber, ist das Gelände heute eine düstere Industriebrache.

Der Gesamteindruck des Havel-Städtchens ist trotzdem nicht verheerend. Von den Häuserwänden leuchtet viel frische Farbe, nicht nur im Zentrum wurde munter saniert und neu gebaut. Hinzu kommt die intakte Natur mit Seen, Biotopen und geretteten Großtrappen als Attraktion. Die ländliche Abgeschiedenheit der Gegend macht die Arbeitssuche andererseits nicht leichter – viele fahren bis nach Berlin oder Potsdam zum Geldverdienen. Die Arbeitslosenquote liegt bei 22 Prozent.

Ansonsten aber bietet Rathenow tatsächlich viele Brandenburger Standards. Die SPD ist stärkste Partei, die Einkaufszentren ruinieren die Innenstadtgeschäfte, an Fassaden duellieren sich linke und rechte Parolen. Wer letztlich das Sagen hat, zeigen die Attacken auf die Asylbewerber. Die Dominanz der Rechten ist offensichtlich. Immer wieder lärmen sie mit ihren alten Golfs und Opel Kadetts durch die beschauliche Kleinstadt. Vor den Ausländerheimen drehen sie gern eine Extrarunde. Dann kurbeln sie die Fenster runter und verhöhnen Salam und die anderen Bewohner, die im Schutz der Häuser darauf warten, dass einfach nur die Zeit vergeht, mit dumpfen Urwaldlauten, „Uh, uh, uh, uh“, und rasen davon.

Manuela Thieme, Rathenow

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