Berlin alaaf
: Karnevalistische Anarchie

Georg Appel steht wie ein Lügner da. Seit zwei Jahren erzählt der stellvertretende Personalratsvorsitzende des Bundestages, es würde in der Reichstagslobby eine Karnevalsfeier geben. Doch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat Appel, der in den letzten Jahren die Weiberfastnacht im Bundestag in Bonn organisiert hat, abblitzen lassen. Bei einem Treffen, bei dem er Thierse auf dieses Thema ansprach, habe dieser geantwortet: „Ich bin Preuße und habe mit Karneval nichts am Hut.“ Der 51-jährige gebürtige Bayer ist sehr enttäuscht darüber. „Der Karneval könnte der Integration der Bonner dienen.“

Nun soll es stattdessen am 29. Februar in der Kantine der Beschäftigten der Bundestagsverwaltung am Schiffbauer Damm hoch hergehen. Das Motto: „Der Anfang ist gemacht“. Die Karnevalisten müssen nicht nur mit einem tristen Plattenbau vorlieb nehmen. Statt des Berliner Prinzenpaares wird nur das Potsdamer Prinzenpaar kommen. Denn das Berliner Prinzenpaar – Harald I. und Martina I. – werden in Köln zugegen sein.

Auch Harald I. alias Harald Grunert, Geschäftsführer der Bonner Zufluchtsstätte „Ständige Vertretung“, kann Thierses Verhalten nicht verstehen. „Der Karneval ist auch ein Stück Berliner Tradition, der sich Thierse nicht entziehen kann“, sagt er. Im Reichstag und bei den Mitarbeitern der Abgeordneten gebe es „ein berechtigtes Interesse“ am Karneval. Grunert beschwört eine „karnevalistische Anarchie“. Langjährige Bundestagsmitarbeiter, für die Rosenmontag und Weiberfastnacht „die höchsten Feiertage sind“, werden „ab 11 Uhr den Hörer danebenlegen“, ist er überzeugt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Hauser, Ehrenmitglied des „Senats der Allgemeinen Karnevals-Gesellschaft Prinzengarde 1947 e.V. Bad Godesberg“, nennt Thierses Absage „kleinkariert“. Durch solch „preußisch korrektes, sauertöpfisches Verhalten“ würden bestehende Vorurteile bestätigt. Doch Hauser ist überzeugt, dass der rheinische Humor diese Niederlage verkraften werde.

Thierses Büro, das mit vielen Urlaubsanträgen in der Karnevalszeit rechnet, ließ gestern mitteilen, dass der Bundestagspräsident „keinesfalls den rheinischen Mitarbeitern verbietet, nach ihrer Façon glücklich zu werden“. Mit einer sitzungsfreien ersten Märzwoche werde bereits Rücksicht auf die rheinischen Feiertage genommen.B. Bollwahn de Paez Casanova