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Der Kern der Oberfläche

Auch Mineralwasserflaschen, Lampen und Plastiktiere haben ein Innenleben: Fotografien von Julia Hecht in der transition-Galerie

„Es wird durchdringend und enthüllend sein, wenn der Fotograf einen guten Moment wählt, um seine Reflexion über sich selbst abzubrechen.“ Diese These des Medienphilosophen Vilém Flusser stellt die 25-jährige Julia Hecht ihrer ersten Fotografie-Ausstellung in der Kreuzberger transition-Galerie voran.

Zwei Wände, vollgehängt mit verstörend farbigen, teils unscharfen, verschwommenen Bildern, die in alten Rahmen hängen. Zwei Wände, die der Zweiteilung der Ausstellung entsprechen. Da sind zunächst die Selbstporträts, denen ein erhöhter Grad an Selbstreflexion naturgemäß anzumerken ist – und in deutlicher Abtrennung davon steht die andere Wand, die abstrakte Fotos zeigt: Ausschnitte von Gegenständen, durch buntes Glas fotografiert; kaum kontrollierte Blicke auf eine wunderliche Welt, wo die Gegenstände, Oberflächen und Grenzen sich auflösen; Fotos, die andeuten, dass auch eine Glasflasche, eine Lampe, ein Plastiktier ein Innenleben haben. Hecht erweckt tote Gegenstände zum Leben und verleiht ihnen eine subtile, seltene Form der Erotik.

In ihren besten Aufnahmen gelingt es der Fotografin und Medienwissenschaftlerin, diese Geschichte des Innen auf die Oberfläche zu schreiben. Man sieht beispielsweise die Stelle, an der eine Zigarette die Lippen berührt und wie die Oberlippe die Zigarette festhält, während die Unterlippe sie ausbalanciert. Gleichzeitig sieht man, wie der Mensch den Rauch einsaugt und das auf dem Foto nicht zu sehende Gehirn sich verändert. Die Welt sieht erschreckend und gleichzeitig schön aus in „The Real World“ – so der Titel der Ausstellung. Der Blick, den Hecht ihrer Kamera und ihrem wie auf Drogen sich befindlichen Objektiv entlockt, kann vom Auge allein nur schwer entwickelt werden. Häufig arbeitet sie mit Unschärfen, und so sieht eine Mineralwasserflasche aus, als enthalte sie etwas Märchenhaftes. Gleichzeitig werden die Ängste der Flasche gezeigt, die, in leuchtendes Azur getaucht, einsam auf einem Tisch steht, unbenutzt.

Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis diese Art, die Dinge darzustellen, größere Bereiche der Mediengesellschaft erfassen wird: Innenwelten auf Werbeflächen statt Oberflächlichkeiten. Man kann sich in den Fotos von Hecht leicht verlieren, weil sie den Blick nie zufrieden stellen, sondern in immer tiefere energetische Zusammenhänge führen. Einige der Bilder zeigen eine Unendlichkeit, gaukeln aber nicht vor, diese zu beherrschen.

Die Aufnahmen sind nicht kalkuliert und durchgestylt, gerade deshalb aber für die kulturelle Entwicklung Berlins so interessant. Denn Hecht arbeitet jenem Trend der „Neuen Mitte“ zu Oberfläche und Kommerzialität entgegen. Ihre Aufnahmen sind gruselig, unbequem und gleichzeitig schön. Sie wirken suchterzeugend, da sie direkt zum Kern vorzudringen versuchen, was natürlich nie gelingt. Aber sie erinnern an diese Suche, kitzeln eine Sehnsucht wach, die tief im Menschen schlummert.

Norman Ohler

Bis 20. 2., transition-Galerie, Oranienstr. 188, Kreuzberg

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