: Schuhlöffel mit Feldherrenattitüde
■ Ohne Maß und Mitte: In Hermann Burgers Solo-Stück „Der Orchesterdiener“ monologisiert Siegfried W. Kernen über den Drang, etwas Besonderes darzustellen
Der Unterbau hat eine Stimme. Sie ist schneidend, urteilend, um elaborierte Formulierung und subtilen Witz nicht verlegen. Ein Strom von Wörtern schießt so unablässig aus dem Mund des Herrn Schramm. Dieser August Schramm, „von Freunden auch der taube August genannt“ und entschieden unmusikalisch, strebt nämlich den Posten eines Orchesterdieners an. Und in einem imaginären Monolog Auge in Auge mit dem Generalmusikdirektor nimmt er das Bewerbungsgespräch schon mal vorweg.
Siegfried W. Kernen gibt den Wörtern Stimme und Statur: In der Heinrich-Heine-Villa porträtiert der Thalia-Schauspieler in einem intensiven einstündigen Solo den Orchsterdiener des Schweizers Hermann Burger. Wie Süskinds Der Kontrabass erlaubt das Stück einen Einblick in die Abgründe des Orchestergrabens. Behutsam Regie führte die junge Ursina Greuel, die im vergangenen Jahr an der selben Spielstätte Dostojewskijs Die Sanfte inszeniert hat.
Im schlecht sitzenden Frack und mit Hut schwadroniert der 60-jährige Kernen über Kunst und Künstler, Musik und Musikalien. Die überragende Bedeutung eines Orchesterdieners steht im Mittelpunkt der Aussagen, dieser verkörpere „die Schattenleitung des Orchesters“, sei praktisch das „Gegenstück“ zum Maestro persönlich. Kernen verleiht dem Orchesterdiener-Aspiranten Feldherren-Attitüden, lässt ihn erhobenen Hauptes richten über verpatzte Aufführungen und die Verfehlungen des früheren Posten-Inhabers. Doch der Mann, der nur aus Wörtern zu bestehen scheint und sich als „Schuhlöffel“ der Erfolgreichen empfindet, ist von einer Aura der Eninsamkeit umgeben.
Psychologen sagen, dass der Drang, etwas Besonderes darstellen zu wollen, die neue Krankheit unserer Zeit sei. Mit seinem Orchesterdiener legt Hermann Burger seinen Finger in diese Wunde. Der Schriftsteller, der sich bereits 1989 mit 46 Jahren das Leben genommen hat, schuf den verschrobenen August Schramm als einen Menschen ohne Maß und Mitte. Eben einer von uns. Viel Beifall für Schauspieler und Regisseurin. Ulrike Cordes
weitere Vorstellungen: heute, morgen, 10., 12., 17., 18., 25., 26. März, 20 Uhr, Heinrich-Heine-Villa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen