: Musterbeispiele
Es gibt kein Kinogenre, das „politische Filme“ heißt. Es gibt aber Filme fast aller anderen Genres, die politische Inhalte haben und gelegentlich auch politisch gemacht sind. Für den Western ist das etwa Der Mann, der Liberty Valance erschoss oder Little Big Man.
Der eine handelt von der Bedeutung der Legende für die Geschichte, der andere vom Genozid an der nordamerikanischen Urbevölkerung, den so genannten Indianern. Oder es gibt die politischen Komödien, Charlie Chaplins Der große Diktator und Ernst Lubitschs Screwballcomedy Sein oder Nichtsein. Oder politische Krimis, wie viele Filme von Alfred Hitchcock „politisch“ sind – so sehr, dass aus der Nazibande in Notorious für die deutsche Synchronfassung unter dem Titel „Weißes Gift“ internationale Rauschgiftschmuggler wurden.
Auch Filme politisch zu verfälschen heißt: Filme politisch machen. Propagandafilme wie Geburt einer Nation von 1914 gibt es ohne Zahl, ob es die sowjetischen sind, die sich zu ihrer Absicht bekannten, oder die verdeckten Propagandafilme der Ufa schon in den Zwanzigerjahren, wie die Fridericus-Rex-Filme. NS-Chefpropagandist Joseph Goebbels ließ den Hitlerjungen Quex drehen, ehe er erkannte, dass harmlos erscheinende Unterhaltungsschmonzetten politisch viel wirksamer waren.
Eine neue Ära des politisch engagierten Films begann 1945 in Italien mit dem Neorealismus, der sich an der Wirklichkeit statt an den Träumen orientierte. Das ging von Roberto Rossellinis Rom, offene Stadt und Vittoria de Sicas Fahrraddiebe bis zu den Filmen des unentwegt und unbeirrbar politisch filmenden Francesco Rosi.
Luchino Visconti drehte mit Die Verdammten einen Film über die Verstrickung deutscher Industrieller in den Nazismus, mit Gewalt und Leidenschaft einen über den Terrorismus, der zumal italienische Filmemacher immer wieder umgetrieben hat (ähnlich wie in Deutschland Rainer Werner Fassbinder mit seiner Groteske Die dritte Generation).
Politisch sind alle Filme von Jean-Luc Godard, Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, Theo Angelopoulos oder Alexander Kluge. Sie sind Musterbeispiele politisch gemachter Filme, weil sie das Publikum zur kritischen Betrachtung von Bildern provozieren – und damit den Zuschauer politisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen