Linksradikaler Kifferhumor

Warum Dr. Eugene Chadbourne immer noch mehr interessiert als die Playmobil-Sophistication der Neuen Mitte  ■ Von Felix Klopotek

Vor zehn Jahren war Eugene Chadbourne noch eine Konsensfigur im Indie-Underground. Das ehemalige Fachblatt für Popdissidenz, Spex, erklärte ihn 1990 zum am zweithäufigst erwähnten Musiker auf seinen Seiten. Damit unterstrich man, dass damals kaum ein Artikel über Country, Jazz, Improvisation und Outsider-Rock erscheinen konnte, in dem nicht auf Dr. Chadbourne Bezug genommen wurde.

Ein Blick auf die Vita des 1954 geborenen Amerikaners verdeutlicht, weshalb er noch einen Wimpernschlag vor John Zorn zum ers-ten Underground-Avantgarde-Star der Postmoderne avancieren konnte: Von einer extrem marginalisierten Musik ausgehend, der freien Improvisation, erarbeitete er sich einen nur noch idiosynkratisch zu legitimierenden Zugriff auf diverse Rock-Traditionen. Mitte der 70er galt er als Gitarre spielendes Wunderkind, das bereits zuvor (!) eine Karriere als Jazzjournalist hinter sich gebracht hatte. Chadbourne ging damals in die Schule der schwarzen Free Jazz-Ikonen Anthony Braxton und Leo Wadada Smith und unterrichtete selber Ende der 70er Leute wie Tom Cora oder eben John Zorn in der Kunst der durchkonstruierten Improvisation. Mit Zorn konzipierte er komplexe „Game Pieces“, in denen die beteiligten Musiker sich wie Quarterbacks oder Billiardkugeln zu verhalten hatten.

Anfang der 80er gründete er mit Kramer und David Licht die Gruppe Shockabilly – der erste Schritt in Richtung Rock. Was wie ein Novelty-Gag aussah, wurde schnell zur Masche. Chadbourne ließ steinbeißerische Avantgardisten Beatles-Songs interpretieren und stilisierte sich zum „Hank Williams on LSD“. Er entdeckte seine Liebe zum Banjo, buddelte den alten Zappa-Schlagzeuger Jimmi Carl Black aus und suchte den Schulterschluss mit damaligen Indie-Heroen wie den Violent Femmes oder eben Camper Van Beethoven. Mit letzteren rief er Camper Van Chadbourne ins Leben – eine frühe Supergroup aus Postpunk, Country, Gitarrenwahnsinn und linkem Kifferhumor.

Es muss höllischen Spaß gemacht haben, typische Songstrukturen mit allerlei Wahnsinn auszuleiern. Formal war das längst nicht so raffiniert wie das, was Mitte der 90er als Postrock zelebriert wurde. Gruppen wie Tortoise kochten Songstrukturen zu Ambient weich und transformierten den Rest mit Mitteln der Elektronik in neue Musik. Aber damals ging es noch offensiv um das „Zerspielen“ von Songs, die Konfrontation von Unvereinbarem, um die punkgestählte, politisch korrekte Reanimation des frühen Frank Zappa.

Tja, das klingt heute so unglaublich weit weg. Kein Wunder, dass Chadbourne in den 90ern aus Augen und Ohren der Hipster verschwand. Verschwunden war er zu keinem Zeitpunkt. Im Gegenteil – er steigert sich in einen Hyperaktivismus, veröffentlicht mehrere Dutzend Tonträger (pro Jahr!) und vor allem: Er besinnt sich auf seine frühen Wurzeln als Improvisator. Er organisiert wieder Free-Form-Freakouts, unterhält eine Gruppe, die Duke Ellington-Kompositionen zu Cut Ups verarbeitet (Hellington Country), gründete diverse Bands zu Ehren des Schutzheiligen aller Free Jazzer Albert Ayler und ist natürlich immer noch der Gitarren- und Banjovirtuose, der gerne Charlie-Parker-Soli rückwärts spielt.

Nun gut. Die Reunion von Camper Van Chadbourne ist allerdings eine kleine Mogelpackung. Wer die Supergroup incl. Camper-Sänger David Lowery erwartet, wird enttäuscht werden. De facto handelt es sich hier um das Eugene Chadbourne Trio, in dem die alten Camper-Gitarristen Victor Krummenacher und Jonathan Segel mit von der Partie sind. Ihre Musik ist absolut für eine post-apokalyptische Lagerfeuer-Session geeignet. Trotz aller schrängeligen Gitarrenvirtuosität, ist sie einladend. Die Jungs können halt gute Songs schreiben, eine mittlerweile weithin unterschätzte und vom Aussterben bedrohte Kunst. Sehr unzeitgemäß – aber genau das ist es, was man an Chadbournes Musik nicht genug hervorheben kann. Seine Uncoolness wirkt im Vergleich zur Playmobil-Sophistication der universalisierten Neuen Mitte absolut erfrischend. Vergessen wir das nicht: Bis heute ist Chadbourne derjenige geblieben, der einst wegen Marx in die Kommunistische Partei eintrat. Groucho, nicht Karl.

Sa, 19.2., Molotow, 21 Uhr