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Hochgeschwinde Wurstzipfel

Ab Herbst 2001 in 90 Minuten von Hamburg nach Berlin: Fünf norddeutsche RegierungschefInnen einigen sich über ICE-Strecken  ■ Von Sven-Michael Veit

Plötzlich kann es ihnen nicht schnell genug gehen. „Gemeinsam und mit Nachdruck“, so Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde, wollen er und die vier weiteren norddeutschen SPD-RegierungschefInnen den ICE zwischen Hamburg und Berlin auf die Gleise setzen. Dafür hätten sie „möglichst viel, gern auch alles“ von den 6,1 Milliarden Mark, die der Bund für den Bau der Transrapidstrecke zwischen den beiden Metropolen vorgesehen hatte.

„Wie einen Wurstzipfel“, so Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis, habe die Kohl-Regierung dem Norden jahrelang das Geld für den Magnetgleiter „vor die Nase gehalten“, den sie selbst immer offen abgelehnt hatte. Da dieser vor zwei Wochen wegen unkalkulierbarer Kostenrisiken begraben wurde, müsse die Summe „jetzt für Verkehrsprojekte im Norden“ erhalten bleiben, um „den Nachholbedarf schnellstmöglich zu erfüllen“.

„Schon übermorgen“, glaubt Simonis, könne so mit der „Ertüchtigung“ der Nordroute über Büchen und Wittenberge in die Hauptstadt begonnen werden. In zwei Jahren könnten die ersten Hochgeschwindigkeitszüge mit Tempo 220 in 90 Minuten von der Elbe an die Spree zischen. Im zweiten Schritt solle die südliche Strecke über Lüneburg, Uelzen und Stendal ausgebaut werden, die planungsrechtlich einen längeren Vorlauf benötigt.

Mit dieser „gemeinsamen Position“, die gestern nach einer Konferenz im Hamburger Rathaus verkündet wurde, haben auch Bremens Bürgermeister Henning Scherf und Niedersachsens Minis-terpräsident Sigmar Gabriel „überhaupt keine Probleme“. Gabriel hatte sich vorige Woche noch für die Bevorzugung der Südstrecke stark gemacht. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Harald Ringstorff, dem beide Trassen „sehr recht“ sind, träumt bereits von Größerem: Eine ICE-Strecke von Kiel über Lübeck und Schwerin nach Berlin.

Der Unterstützung durch die rot-grüne Bundesregierung für „unsere strategischen Konsequenzen aus dem Transrapid-Desaster“, wie Simonis es formuliert, sind sich die Fünf sicher. Sowohl Bundeskanzler Schröder wie Verkehrsminister Klimmt und Finanzminister Eichel (sämtlich SPD) haben sich für „die unverzügliche Realisierung“ der ICE-Strecke ausgesprochen. Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, die Hamburgerin Angelika Mertens, sprach ges-tern in Berlin von der Inbetriebnahme der 90-Minuten-Trasse „schon im Herbst nächsten Jahres“.

Hamburgs Handelskammer war dennoch unzufrieden: „70 Minuten“ seien „unverzichtbar“ und der sechsspurige Ausbau der A 24 natürlich auch.

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