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Natural BornSuperpower

Zwischen HipHop und Leonard Cohen: Gonzales macht jetzt Berlin klar ■ Von Andreas Hartmann

Treffpunkt mit Gonzales ist der Imbiss Konopke in Prenzlauer Berg. Doch es ist kalt, und sich vor einem Stehimbiss im Freien zu unterhalten, das stellt man sich auch nicht unbedingt unter einem Interview in „gemütlicher Atmosphäre“ vor. Gonzales hat einen besseren Vorschlag: Hot-Dog-World, gleich um die Ecke, immerhin ein Stehimbiss im Warmen. Also hin.

Auf so etwas wie frisch gebügelte Unterhosen, gestärkte Stehkragen und Fusselbürste scheint Gonzales nicht unbedingt gesteigerten Wert zu legen. In eine schmuddelige Skijacke ist er gehüllt, fettige Haare und braune Zähne hat er – formvollendeter Gammelglamour.

Gonzales ist das neue Starmodell von Kitty Yo, dem Label, das mit immer beängstigenderer Zielgenauigkeit die richtigen Acts zur richtigen Zeit zu signen scheint. Patrick Wagner, Miteigner von Kitty Yo, ist darauf auch nicht wenig stolz und schätzt das Potenzial von Gonzales nicht eben gering ein: „Der Typ hat das Zeug dazu, demnächst Millionen von Platten zu verkaufen. Mit der finanziellen Power eines Majors würde er das schaffen“. Lieber zu hoch als zu niedrig stapeln, das macht Patrick gern. Aber prinzipiell ist da schon was dran. Gonzales ist charismatisch, ein Allroundtalent und seine neue Platte – „Gonzales über alles“ – ein potenzielles Hitalbum.

Etwas Enigmatisches umgibt Gonzales. Vor gar nicht so langer Zeit ist er nach Berlin gekommen, aus Kanada. Dort hatte er schon eine kleine Karriere als Popstar hinter sich, mit Major-Deal und allem, was dazugehört. Und auch in Berlin verdient er sein Geld mit Musik: als Pianospieler in einer Charlottenburger Kneipe. Der größte Traum von Gonzales: einmal ein Duett mit einer französischen Chansonette zu schmeißen. Denn Gonzales liebt Chansons. Und die Stooges. Und HipHop. Aber darum geht es eigentlich gar nicht.

Gonzales hat sich in Hot-Dog-World eine Flasche Aprikosensaft bestellt und stellt gleich mal klar: „Lass uns nicht über Musik reden. Das interessiert mich nicht. Es geht mir um Superpower. Um das, was meine Musik transportiert, egal ob ich Klavier spiele, rappe oder was auch immer. Es geht darum, meine Träume in die Realität der Leute zu verpflanzen und in diesen ihre eigene Superpower zu wecken“.

Superpower – ein großartiges Comic-Schlagwort. Superpower ist so etwas wie Spirit, etwas, sagt Gonzoles, was nicht in der Musik selbst zu finden ist, sondern erst in der perfekten Chemie zwischen Ausführendem, Musik und Hörer zum Tragen kommt: „Die Leute, die diese Musik konsumieren, sollten sie dazu benutzen, die Kraft in sich selbst zu entdecken. Auch um mit den eigenen Träumen kreativer umgehen zu können.“

Das ist die Message: Nicht die Musik ist wichtig, sondern das, was ihr daraus macht. Nicht die Musikindustrie manipuliert euch, ihr manipuliert euch selbst. Musikkonsumenten, aufgewacht – das muss endlich aufhören!

Eigentlich ist es für Gonzales nicht wichtig, wo er lebt. „Da ich meine Superpower aus mir selbst heraus beziehe, kann ich meine Musik überall machen.“ Aber Berlin mit seinem historischen Ballast und der Großstadtanonymität hilft Gonzales immerhin, seine Superpower zu vergrößern. „Ich komme aus Kanada. Als Kanadier ist man eh schon Outsider. Wir leben total im kulturellen Schatten Amerikas und haben selber nichts Eigenes. Kanada ist unsichtbar. Deswegen bin ich als Natural Born Outsider und Jude nach Berlin gezogen. Hier kann ich mein Outsidertum noch stärker zelebrieren. Dabei ist meine Superpower noch stärker geworden.“

Aber auch Reisen nach London gehören dazu, um dort in MC-Battles sein Innerstes nach außen zu kehren. Auch das macht stärker. Dass es Gonzales darum geht, sich selbst ständig neue Herausforderungen zu stellen und auch sein Publikum zu fordern, fließt auch in seine Live-Performances ein. Er will überraschen, schockieren, vor den Kopf stoßen. Bei einem Gig in Brighton hat er einfach das ganze Konzert lang nur Klavier gespielt. Das Publikum war irritiert.

Dass es darum geht, sich nicht auf einen bestimmten Style festzulegen, lässt sich auch auf „Gonzales über alles“ nachhören. HipHop-Beats und MC-ing wechseln sich mit Leonard-Cohen-Samples, Kitsch, Jazzversatzstücken und allerlei kruden, satellitenhaften Einfällen ab, die jedoch stets um den Planeten Pop kreisen. Entstanden ist die Platte genauso mit der Hilfe von befreundeten Producern aus dem Umfeld des Breakbeatgewitter-Labels DHR wie mit den süßen Stimmen von Sängerinnen aus dem erweiterten Gonzales-Umfeld.

Wie ich den Plattentitel eigentlich finden würde, fragt Gonzales zum Schluss noch. Na, super, Dead Kennedys und so, tolle Hommage an „California über alles“ eben. Quatsch, die Dead Kennedys kannte Gonzales bis vor kurzem gar nicht: „Ist einfach ein super Reim.“ Ach so.

„Gonzales – Gonzales über alles“ (Kitty Yo/Efa), erscheint am 25. Februar

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