Die CSU sieht begründete Chancen für einen Machtzuwachs
: Stahl unter dem Samt

Die CSU zeigt Stahl unter dem Samthandschuh. Bisher blitzt er nur gelegentlich ganz kurz auf, und sein Erscheinen wird stets von höflichen diplomatischen Worten begleitet. Dennoch ist die Botschaft ganz unmissverständlich. Die Bayern möchten ihre Machtposition stärken und den Kurs der gesamten Union in größerem Maße als bisher beeinflussen. Dazu gehört, dass sie auch bei der Besetzung der neuen CDU-Parteispitze mitreden wollen, mag das nun formal korrekt sein oder nicht. Verständlich ist das umso mehr, als die CSU den tiefen Absturz des konservativen Lagers in der Wählergunst nicht zu verantworten hat. Es ist angesichts der verfilzten bayerischen Verhältnisse zwar außerordentlich überraschend, dass bisher gegen die Christsozialen keine Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Finanzskandal der Schwesterpartei laut geworden sind, aber es ist dennoch eine Tatsache. So lange das so bleibt, hat die CSU als schuldlos an der Affäre zu gelten. Dieses rechtsstaatliche Prinzip gilt auch für Parteien.

Angela Merkel, eine protestantische, liberal denkende Frau aus Ostdeutschland, kann nicht die Wunschkandidatin einer katholischen, erzkonservativen Männerdomäne in Bayern sein. Auch das ist verständlich. Darüber hinaus aber ist es politisch klug. Die CDU-Generalsekretärin erfreut sich großer Sympathien in den Reihen derer, die niemals in Versuchung waren, ihre Partei zu wählen. Die Union wird jedoch nicht dadurch aus der Krise geführt, dass Anhänger des rot-grünen Lagers ihre Personalentscheidungen bejubeln. Andere Parteien liefern da abschreckende Beispiele. Die schlechten Ergebnisse der Grünen bei mehreren Landtags- und bei den Europawahlen rühren auch daher, dass sie vorher jeweils mehr um öffentlichen Beifall der Gesamtbevölkerung als um Zustimmung in der eigenen Stammwählerschaft geworben haben. Rückt die Union zu weit in die Mitte der Gesellschaft, dann kann sie ihren eigenen rechten Rand nicht mehr integrieren – der ein weit breiterer Rand ist, als sich viele in der Gesellschaft eingestehen mögen.

Die CSU tut also gut daran, auf Mitspracherecht zu pochen, und sie ist damit bereits ziemlich erfolgreich. Das Gerede, dass die Schwesterpartei nun erst einmal die Basis befragen will, sollte nicht allzu ernst genommen werden. Sowohl die Wahl des Fraktionsvorsitzenden als auch vor allem die Wahl der CDU-Parteispitze wird nicht etwa aus internen sachlichen oder demokratietheroetischen Erwägungen heraus so lange wie möglich hinausgezögert. Vielmehr wollen die Bayern die Landtagswahl in Schleswig–Holstein abwarten, um Volker Rühe eine Chance zu geben, seinen Hut in den Ring zu werfen. Wo auch immer dieser Hut dann landen wird. Der vorhersehbar erfolglose CDU-Spitzenkandidat ist in München schon seit längerer Zeit beliebter als in der eigenen Partei. Das macht ihn zum personifizierten Kompromiss. Das Bedürfnis der CSU nach einem rigorosen Neuanfang ist nicht besonders ausgeprägt – warum sollte es das auch sein? Rühe ist der letzte Große aus der alten Garde, der in der Spendenaffäre noch immer unbelastet ist. (Und Jürgen Rüttgers? Was hat der denn vorzuweisen außer einer vergeudeten Chance als Zukunftsminister?)

Nun mag die unterstellte Schuldlosigkeit im Falle des ehemaligen Generalsekretärs und Verteidigungsministers Rühe ebenso erstaunlich sein wie im Fall der CSU, aber ebenso wie bei ihr gilt sie bis zum Beweis der Gegenteils dennoch als wahr. In den letzten Wochen hat der CDU-Politiker zunehmend Erinnerungen an den biblischen Hiob wachgerufen. Schien ihm zunächst immer wohlzugeraten, was er auch anpackte, ging plötzlich alles schief. Kohl, Schäuble, Koch – wer immer von der Parteiprominenz zur Unterstützung der CDU in den Wahlkampf nach Schleswig-Holstein reiste, lieferte sein Geständnis im Zusammenhang mit dem Finanzskandal fast unmittelbar vorher ab. So wurden sie alle von Helfern zu Belastungen. Hiob hat am Ende doppelt so viel bekommen, wie er vor seinen Heimsuchungen gehabt hatte. Da enden die Gemeinsamkeiten dann allerdings. Wenigstens Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und dessen Ambitionen auf die Kanzlerschaft sind dem Schwergeprüften erspart geblieben. Hiob war allerdings auch tatsächlich ein Gerechter. Bettina Gaus