piwik no script img

Der Netteste im Universum

Oktay Urkal gewinnt seinen EM-Kampf gegen den Russen Michail Kriwolapow und versucht nun, „einer der bekanntesten Boxer Deutschlands“ zu werden ■ Aus Berlin Markus Völker

Hatte sie sich also doch wieder eingeschlichen. Trotz Hausverbots kreuzte Ayșe Urkal Samstagnacht im Convention Center des Berliner Estrel-Hotels auf. Dabei hatte ihr Sohn, Oktay Urkal (30), doch unmissverständlich klargemacht: „Ich möchte nicht, dass sie bei meinen Kämpfen dabei ist. Ich sage immer zur Familie: Frauen, bleibt bitte zu Hause.“ Sie sollen sein Leiden, die Schläge, die er nehmen muss, die Schwellungen im Gesicht, nicht sehen.

Doch die Mutter ließ sich nicht abhalten, den Kampf des Sohnes gegen den Russen Michail Kriwolapow, Nummer eins der Europarangliste, in Augenschein zu nehmen. Also kam es nach dem knappen Punktsieg von Urkal zu jener Szene im Ring: Eine kleine, pummelige Frau im schwarzen Kleid, mit schwarzer Bluse, zwängte sich hochroten Kopfs durch die Seile, strebte auf krumm gelaufenen Schuhen dorthin, wo all die Offiziellen mit ihren schicken Anzügen herumstanden, stürmte auf ihren Oktay zu und umarmte ihn. Ziemlich lang. Urkal schmuste mit.

Er war nach acht Wochen harten Trainings auf Gran Canaria, wo er fünf Sparringspartner verschliss, am Ziel. Die Europameisterschaft im Super-Leichgewicht hatte er soeben gewonnen. Nach ein, zwei Titelverteidigungen wird er in ein paar Monaten um den WBO-WM-Titel kämpfen. Er, den sie „Muhammad Ali von Kreuzberg“ nennen; er, der von sich sagt: „Ich bin einer der bekanntesten Boxer in Deutschland – halbwegs“; er, der bei Olympia in Atlanta 1996 die Silbermedaille holte; er, der von seinen nunmehr 25 Profifights alle gewann.

Urkal wird von Fitz Sdunek trainiert. Sdunek, beim SC Traktor Schwerin groß geworden, führt Regie im Hamburger Gym der Universum-Boxpromotion. „Oktay ist ein bisschen runder geworden“, sagt er. Seine Führungshand habe sich stark verbessert, er sei bereit, enorme Belastungen auf sich zu nehmen. Zudem ist Urkal für das Binnenklima der Trainingsgruppe um die Klitschko-Brüder unentbehrlich, als „Ulknudel“ und „Spaßvogel“.

Sdunek aber schätzt vor allem sein Box-Talent. Mühsam musste er sich im 12-Runden-Format der Profis zurecht finden. Anfangs verpulverte er alle Kraft in den ersten Runden. Gegen den Russen bewies er noch in den letzten drei Minuten Schlaghärte. Allerdings fehlt ihm der große finale Punch. „Sonst wäre es noch attraktiver zuzuschauen“, glaubt Ralf Rocchigiani. Urkal sagt über die Zusammenarbeit mit Sdunek: „Wir haben viel an meiner Überheblichkeit gearbeitet und daran, dass ich nicht so viel umherzappele.“

Urkal ist auf dem besten Weg zum Vollprofi. Das heißt, er boxt nicht nur für gutes Geld – von dem er sich bereits eine Eigentumswohnung in Schildow, ein Ferienhäuschen in der Türkei und ein respektables Auto geleistet hat – er passt sich auch gut in Universums Vorstellungen vom idealen Angestellten ein. Klaus-Peter Kohl fasst das so zusammen: „Bei uns sind alle Boxer sehr freundlich und zuvorkommend.“

Die Vorgabe seines Chefs erfüllt Urkal vorbildlich. Nach Interviews bedankt er sich artig und wünscht einen guten Tag. Von den Tagen, als er eine „dicke Lippe“ riskierte, will er heute lieber Abstand nehmen. Er distanziert sich von früheren Aussagen, etwa der Mitteilung, wenn Not am Mann sei, würde er eben mal so Mike Tyson umhauen. Heute spricht er artig ins Premiere-World-Mikro: „Ich komm mit allen zurecht, ich pass mich an alles an.“ Eine Aussage, die ihn vor den Augen der türkischen Goldketten-Desperados, die das Estrel-Hotel in Scharen bevölken, ein wenig zum Weichei, zum „Lieb-Alilein“ mit erhöhtem Assimilationsdrang macht.

Kriwolapow, sein Gegner, boxte verbissen. Einige der ersten Runden gingen an den Mann aus Russland. Erst gegen Ende des Kampfs überholte ihn Urkal nach Punkten. An einen Knock-out war nie zu denken. Das passiert in dieser Gewichtsklasse ohnehin selten. Urkals Spezialität, der linke Aufwärtshaken, seine „sehr, sehr schnellen Fäuste“ (Rocchigiani) verfingen sich meist im engmaschigen Verteidigungsnetz des Russen. „Ich schlage auch hart, aber irgendwie fallen die nicht um“, zeigte sich Urkal hernach fast verzweifelt. „Halbweltergewicht ist echt nicht normal.“

Kohl hat dennoch seine Freude an Urkal. Der Universum-Boxstall ist die Nummer eins in Deutschland, klar vor dem Sauerland-Clan. Von den vergangenen 26 Universum-Kampfabenden waren 21 ausverkauft, die Fernsehverträge sind lukrativ. „Wir sind ganz gut dabei“, sagt Kohl. „Jetzt geht es aber erst richtig los.“ Auch für Urkal. „Nun steht mir die Boxwelt offen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen