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Schöner Weserstrand

■ In dem Berlinale-Forumsfilm „Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert“ erzählt ein Elsflether Kapitän von seinem wellenbewegten Leben

Von den wichtigen Berlinale-Ereignissen berichteten die Kollegen der Bundes-taz ja täglich erschöpfend. Aber der lokale Bremer taz-Filmkritiker machte sich wie jedes Jahr auch diesmal wieder auf die schwierige Suche nach dem „Bremen-Bezug“ der Berlinale. Von morgens bis abends schaute er so viele Filme wie physisch und psychisch irgend möglich – und war in den vergangenen Jahren schon froh, wenn in einem Film wie „The Big Lebowsky“ wenigstens einmal „Bremer Pfannkuchen“ in einem Dialog gelobt wurden.

In diesem Jahr aber konnte der Lokalkritiker wahrlich frohlocken, fiel doch in einem Film der Satz „an diesem Sommer war es am Weserstrand besonders schön“: Im Programm des „Internationalen Fo-rums des Jungen Films“ wurde „Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert“ von Gordian Maugg gezeigt – und der darin porträtierte Herr Warns war zwar kein Bremer, wuchs aber immerhin im nahen Elsfleth auf und verbrachte „Nachkriegszeit und Lebensabend in Bremen“ (so der Forums-Katalog).

Warns hat sein Leben lang – seit er als Vierzehnjähriger 1914 als Schiffsjunge zu seiner ersten großen Fahrt aufbrach – Fotos von seinen Seefahrten gemacht. Diese und seine Lebensgeschichte sind die Basis des Films, der aber trotzdem kein reiner Dokumentarfilm ist. Regisseur Maugg inszenierte nämlich die Schlüsselszenen des Seemannslebens mit Schauspielern nach – und er fuhr zum Teil auch für Aufnahmen zu damaligen Reisezielen.

So sehen wir in verblichen scheinenden Stummfilmaufnahmen mit Zwischentiteln den jungen Schauspieler Florian Höber als vierzehnjährigen Hans Warns, der mit dem Viermastsegler „Herbert“ nach Chile schippert, um dort Salpeter für das Deutsche Reich zu laden. Doch durch die Seeblockade der Alliierten mussten Schiff und Besatzung jahrelang vor Chile ankern. Der junge Hans Warns fotografierte mit seiner Kamera die Kameraden, das Schiff, die trostlose Wüstenlandschaft Chiles und die Langeweile.

So intensiv wie in diesen ersten 20 Minuten wird der Film jedoch nicht wieder werden. Dafür aber wird Warns Leben immer interessanter: Im Deutschland der Inflation von 1921 kann er sich gerade eine Handvoll Zigarren für seine Heuer von sechs Jahren kaufen. Deshalb gründet Warns schnell mit seiner Jugendliebe Olga eine Familie in Elsfleth und geht wieder auf große Fahrt. 1936 besteht die Ladung seines Schiffs aus getarnten Flugzeugteilen für die „Legion Condor“ im spanischen Bürgerkrieg.

Als Kapitän bricht er im Zweiten Weltkrieg die Seeblockade der Engländer auf seinen Fahrten nach Norwegen. Im Dienst der Deutschen Kriegsmarine geht er auf Kaperfahrten in den Südatlantik. Unter den Schiffen, die sein Panzerkreuzer mit Torpedos versenkt, ist auch sein erstes Schiff: das Segelschiff „Herbert“, das die Engländer noch in Chile beschlagnahmt hatten. Nach dem Krieg war Warns noch bis zum Rentenalter als Kapitän von Handelsschiffen auf See: Die Nachkriegzeit und Warns Ruhestand im schönen Bremen werden aber ganz fix und als lästiges Pflichtprogramm abgehandelt.

Je älter desto schöner – das gilt nicht nur für die Fotos von Warns sondern auch für Mauggs Nachempfindungen: Die Ausschnitte aus deutschen Kriegswochenschauen sind längst nicht so intensiv und originell geschnitten wie die Bilder von Warns Chilereise. Einmal ist der Übergang dabei so raffiniert, dass sich die von Warns aufgenommene Strandszene plötzlich ohne Bruch in Mauggs Nachinszenierung verwandelt. Oder hat Maugg etwa auch dieses Foto gefaked?

Das große Manko dieses ästhetisch und erzählerisch so gelungenen Films liegt darin, dass man die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion schwer erkennen kann. Und als sich bei der Diskussion nach der Vorführung herausstellte, dass auch die Originalstimme von Warns zur Hälfte „gefälscht“ wurde, traute man dem Filmemacher gar nicht mehr über den Weg. Im Nachhinein kamen einem einige Episoden allzu romanhaft vor. Aber Maugg beteuerte, alle Fakten seien von Nachkommen des Schippers beglaubigt. Vielleicht hat ja schon der 90-jährige Hans Warns seine eigenen Abenteuer ein wenig ausgemalt – ob und wo nun wer Seemannsgarn gesponnen hat, ist aber im Film unmöglich herauszufinden. Schön erzählt ist er jedoch allemal. Auch wenn Bremen viel zu selten darin vorkommt. Wilfried Hippen

Wenn der Film einen Verleih findet, wird er sicherlich im Kino 46 gezeigt werden. Sonst muss man bis zum nächsten Jahr warten. Dann wird er im ZDF in der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ gesendet.

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