: Marschieren für ein Kosovo
Mit einem Protestzug nach Mitrovica protestieren zehntausende Albaner gegen eine Teilung der südserbischen Provinz. Der Druck auf die KFOR wächst ■ Aus Mitrovica Erich Rathfelder
Unübersehbar ist der Strom von Menschen, der am Montagmorgen in der Hauptstadt des Kosovo, Priština, zu einem langen Marsch in das 40 Kilometer entfernte Kosovska-Mitrovica aufgebrochen ist. Viele albanische Nationalflaggen tragen die Menschen mit sich, hin und wieder tauchen auch amerikanische und deutsche Flaggen auf. „Wir sind gegen die Teilung Kosovas“, sagt Avni, ein 19-jähriger Student.
Ursprünglich als Gedenkmarsch für die Arbeiter von Stari Trg gedacht, die vor elf Jahren mit einem Hungerstreik unter Tage gegen die Abschaffung der Autonomie des Kosovo protestierten, ist die Demonstration zu einer Willenskundgebung der Albaner geworden, die Teilung des Landes in einen albanischen und einen serbischen Teil nicht zuzulassen. „Wir fordern von den internationalen Institutionen, alles zu tun, um die serbischen Extremisten aus Kosova zu vertreiben“, fügt Avni hinzu.
Die Demonstration, zu der die Arbeiter von Stari Trg und des Minenkomplexes Trepca sowie eines Komitees albanischer Parteien aufgerufen hatten, sollte nach dem Willen der Veranstalter friedlich ablaufen. Die Menschen sollten vor Mitrovica Halt machen und eine Delegation in die Stadt entsenden. So hoffen es die KFOR-Kommandeure. Aufgeschreckt durch Berichte, dass über 1.000 albanische Kämpfer in den albanisch dominierten Teil Mitrovicas eingesickert seien, fürchten sie eine Eskalation. Nicht auszudenken, wenn die Demonstranten in die Stadt kämen und versuchten, in den serbischen Nordteil zu gelangen. Gespannt warten die deutschen und österreichischen Soldaten, die auf der Brücke über den Ibar stationiert sind. Auch in Mitrovica selbst werden albanische Demonstranten erwartet. Die dürfen auf keinen Fall in den anderen Stadtteil gelangen. „Das würde Mord und Totschlag geben, wir lassen niemand durch“, sagt ein Soldat.
Pausenlos überqueren Militärfahrzeuge der KFOR-Truppen die Brücke, um in den Nordteil überzuwechseln. Am zweiten Tag der Durchsuchungsaktion im Nordteil, die gestern zunächst abgebrochen wurde, ist bis zum Mittag alles friedlich verlaufen. Auch amerikanische und deutsche Truppen sind im serbisch kontrollierten Nordteil aktiv. Noch am Sonntag waren sie von Serben mit Steinen beworfen worden. Die Amerikaner waren, um Blutvergießen zu vermeiden, von dem französischen Kommando zurückbeordert worden. Eine „Schmach“ für die Amerikaner, die sie hinnehmen. „Sonst hätten wir schießen müssen,“ sagt Ian Fitzgerald, ein amerikanischer Verbindungsoffizier.
Der Virus des Nationalismus irritiert zunehmend die Soldaten der KFOR. Albaner, die in einer Enklave im Nordteil der Stadt leben, sehen die KFOR nicht als Einheit. „Amerikaner, Briten, Deutsche, Österreicher und Türken sind unsere Freunde“, sagt Virtyt, der am 13. Februar die Schüsse, die von der serbischen Seite aus auf die rund 1.000 hier lebenden Albaner, Bosniaken und Roma abgefeuert wurden, überlebt hat. Von den französischen Truppen hält er nichts. „Die haben den Serben geholfen und sogar mitgeschossen“, erklärt er. In der Nacht zum Montag hätte die KFOR den Stadtteil abgeriegelt und vor Übergriffen der Serben beschützt.
Nur wenige hundert Meter sind die ersten serbisch bewohnten Häuser. Dragan, ein 55-jähriger Alteinwohner dieses Viertels, beklagt sich über die Militäraktion der KFOR. „Warum werden wir Serben immer für alles verantwortlich gemacht? Dort in dem Café haben Albaner am 12. Februar eine Bombe geworfen, 22 Menschen wurden verletzt.“ Sein Nachbar, der am Straßenrand Schweinefleisch brutzelt, stimmt zu. Er hofft, dass Franzosen, Griechen und Italiener hier das Sagen haben. „Von Amerikanern und Deutschen haben wir Serben nur Schlimmes zu erwarten.“
Mit Nettigkeiten werben die Serben um die Sympathie der Franzosen. Am Kiosk nimmt die Verkäuferin anstandslos französische Franc an. Im Gegensatz zu den Amerikanern werden die Franzosen beklatscht. Und das bleibt nicht ohne psychologische Folgen bei den Soldaten. „Wir dürfen uns nicht von diesen Sympathie- und Antipathieäußerungen der Bevölkerung irritieren lassen“, sagt Oberstleutnant Bernhard Meyer, ein deutscher Presseoffizier. Dass die französischen Truppen am Sonntag serbische Gewalttäter gewähren ließen, als sie Steine auf Amerikaner und Deutsche schmissen, hat ihn nachdenklich gemacht. Auf höherer Ebene ist das besprochen worden, da ist er sicher. Dass am zweiten Tag der Aktion alles reibungslos verläuft, könnte Ergebnis einer nächtlichen Konferenz gewesen sein.
General Wesley Clark erklärt denn auch, die KFOR-Aktion werde fortgesetzt, auf beiden Seiten des Flusses würde nach Waffen gesucht, die KFOR stünde zusammen. Die Krise scheint in den Hintergrund gedrängt. Indem Wesley Clarke die Existenz von serbischen Paramilitärs zugibt, ist das wichtigste Ziel der Aktion umrissen. Die Macht bewaffneter Gruppen soll gebrochen werden. Nur dann könnten die Albaner von bewaffneten Aktionen zurückgehalten werden. Noch wird nur demonstriert. Die KFOR-Soldaten müssen die Stadt nun fest in den Griff bekommen.
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