: Stürmischer Beifall der Würmer
■ Souverän: Das Moks-Theater zeigt jetzt die Bremen-Premiere des Kindertheaterstücks „Herr Sturm und sein Wurm“
Fragt man einen Schauspieler nach seinen größten darstellerischen Herausforderungen, so wird er wohl so manchen Klassiker und die eine oder andere Überraschung anführen. Dass ein Werk für Kinder ab vier Jahren mit dem Titel „Herr Sturm und sein Wurm“ unter den Nennungen zu finden sein wird, ist wohl unwahrscheinlich.
Tatsächlich aber hat der Darsteller des kurzen Ein-Personen-Stücks von Barbro Lindgren und Cecila Torudd, das am Sonntag im Moks-Theater seine Premiere feierte, keinen leichten Stand. So wird ihm nicht einmal Zeit zum Verschnaufen eingeräumt, bis in ein, zwei Tagen die kritischen Anmerkungen der Rezensenten erfolgen. Nein, die Kritik an den darstellerischen und inszenatorischen Leis-tungen (Jutta Damasche) kommt unmittelbar aus dem Publikum. „Was machst du denn da?“ fragt gleich zu Beginn der Aufführung ein kritischer junger Zuschauer; eine deutliche Kritik an unverständlicher Aufführungspraxis. „Das ist aber ein bisschen klein!“ wird der Bühnenbildner gerüffelt, der den Kindern weismachen will, eine umgedrehte Schublade reiche bereits aus, um die Theke einer Konditorei nachzubilden.
Es sind also ganz besondere Fähigkeiten an Schlagfertigkeit und Kreativität gefordert, um sich bei all diesen unerwarteten Anmerkungen keine Blöße zu geben. Stefan Becker, Darsteller des Herrn Sturm und dessen Wurm zugleich, meistert diese Hürden souverän. Er nimmt die Kinder ernst, geht auf ihre Einwände ein und verkörpert glaubhaft den stets freundlichen Charakter des kleinen Herrn Sturm. Die Kinder sind begeistert und das durch eine denkbar einfache Geschichte: Herr Sturm, ein freundlich dreinblickender Mann mit kleinem Hut und karierter Latzhose, lebt einsam in einem überdimensionalen Schrank. Eines Tages rettet er im Park einen Wurm vor einer hungrigen Elster und nimmt ihn mit in seinen Schrank. Der Wurm, dargestellt von Beckers rechtem Zeigefinger, bringt erst richtig Leben in die Bude; er kitzelt Herrn Sturm, spielt auf seinem kleinen Klavier und bringt ihn sogar dazu, gemeinsam eine Konditorei zu besuchen. Dennoch bringt ihn Herr Sturm bald wieder in den Park (ein kleiner Pappmaché-Teich neben dem großen Schrank) zurück: Eine Freundschaft mit einem Wurm, das geht doch nicht!
Der hörbare Erfolg des Märchens bei den Kindern trotz spärlichen Bühnenmaterials und einfacher Handlung zeigt wieder einmal, dass nicht die Maßlosigkeit des Produktionsaufwandes entscheidend ist, sondern die Kreativität des Autors und die gekonnte Umsetzung des Schauspielers. Allein aus einem Finger ein individuelles Lebewesen entstehen zu lassen und dann gemeinsam Abenteuer zu erleben – eine derartig Fantasie-anregende Idee wurde in den teuersten Produktionen der Tele-Tubbies noch nicht entwickelt.
Bei allem Trubel und fröhlichen Treiben allerdings ist lange Zeit zu befürchten, dass es bei der Darstellung einer heilen Welt bleibt. Doch die heile Welt bricht zusammen, als es zur Trennung des Herrn Sturm von seinem Wurm kommt. Es ist jetzt schon beinahe zu tragisch und zu rührend, als Herr Sturm erst nach dem Aussetzen des Wurmes erkennt, was dieser ihm tatsächlich bedeutete. „Wein' nicht, lach' doch!“, ruft da ein kleiner Junge. Der weinende Herr Sturm dreht sein Klavier zur Wand, weil es ihn an den verschwundenen Gefährten erinnert, den er gar von einer Elster verschlungen wähnt. Schwermütige Geigenmusik schluchzt auf, und selbst Erwachsene schluchzen mit. Selbstverständlich aber kommt es, wie es in einem Kindertheater kommen muss: Inmitten der Trauer taucht unversehens der Wurm wieder auf und die Geschichte von dem freundlichen Herrn Sturm und seinem Wurm endet gut.
Johannes Bruggaier
Aufführungen heute und 2. März um 15 Uhr. Karten 365 33 92
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