: Tauwetter zwischen CDU und Grünen
Christdemokraten proben die Entspannungspolitik: Erst hielt Fraktionschef Landowsky die Kandidatur der grünen EU-Kommissarin Michaele Schreyer für eine „Schande“, dann lud er sie als Referentin ein ■ Von Ralph Bollmann
Bricht im Mai der schwarz-grüne Frühling aus? Nur zwei Monate noch, und die versammelten CDU-Abgeordneten werden einer Premiere beiwohnen: Auf Einladung von Fraktionschef Klaus Landowsky wird die EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer bei einer Klausurtagung der CDU-Parlamentarier in Wien sprechen. Es ist das erste Mal, dass die Berliner CDU eine Grüne zum offiziellen Referat einlädt. Noch vor einem halben Jahr hatte Landowsky Schreyers Kandidatur für den Posten in Brüssel als „Schande“ bezeichnet.
Noch redet Landowsky lediglich von einem „offenen Blick“ und einer „neuen Kultur des Denkens“, noch spricht Grünen-Landeschef Andreas Schulze von bloßen „Lockerungsübungen“. Aber die Einladung an Schreyer hat die Spekulationen kräftig angeheizt, ob sich der Flirt in der Donaumetropole irgendwann zur dauerhaften Liaison auswachsen könnte.
Eine veritable Koalition zwischen Christdemokraten und Bündnisgrünen – was einst undenkbar schien, scheint heute in den Bereich des Möglichen gerückt. Schon gibt es im Ruhrgebiet eine ganze Reihe von Städten und Gemeinden, in denen seit dem SPD-Absturz bei der letzten Kommunalwahl schwarz-grüne Bündnisse regieren. In der „gemeinsamen Verzweiflung über die dortige SPD“ sieht denn auch Berlins Finanzsenator Peter Kurth (CDU) den Hauptgrund für die überraschende Annäherung der beiden Parteien. Und tatsächlich: Auch in Berlin könnte sich der Zustand der Sozialdemokratie als stärkster Stimulus für schwarz-grüne Gedankenspiele erweisen. Schon zum dritten Mal auf die Oppositionsbänke gezwungen, mussten die Grünen die bittere Lektion lernen, dass sie auf die SPD alleine nicht länger bauen können. Für eine rot-grüne Mehrheit ohne PDS fehlt den gebeutelten Hauptstadt-Genossen die Kraft, ein Bündnis mit den Ex-Kommunisten aber lehnen die früheren Frontstadt-Sozis noch immer strikt ab. Kein Wunder also, dass sich die Grünen aus ihrer Fixierung auf die Sozialdemokraten zu lösen beginnen. „Äquidistanz“ heißt das Zauberwort, in dem sich neuerdings alle Parteiflügel wiederfinden.
Jetzt will die Partei auch das Gespräch mit PDS und CDU suchen. Aber auch für die Christdemokraten gibt es gute Gründe, sich neu zu orientieren. Schließlich kann niemand ausschließen, dass die SPD ihre PDS-Abstinenz aufgibt – oder sich womöglich zur Regeneration auf die Oppositionsbänke zurückzieht. Dann stünde die CDU plötzlich ohne Partner da.
Noch versichern die Akteure allerdings beharrlich, mit dem jetzigen Personal sei ein Bündnis aus CDU und Grünen nicht zu machen. So sieht CDU-Fraktionschef Landowsky erst dann Koalitionschancen, wenn „nicht mehr ein Wolfgang Wieland oder eine Renate Künast das Geschehen“ bestimmten. Und der grüne Fraktionsvize Burkhard Müller-Schoenau verortet das Problem bei den „Anti-68ern“ in der Union, vor allem also bei Landowsky und dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen.
Da sieht es in der CDU-Senatsmannschaft schon anders aus. Kultursenatorin Christa Thoben erlitt in den Achtzigern einen Karriereknick, weil sie als eine der ersten in der Union für schwarz-grüne Bündnisse plädiert hatte. Finanzsenator Kurth sieht „in der Finanz-, Wirtschafts oder Kulturpolitik“ durchaus Berührungspunkte mit den Grünen. Auch Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner ist für solche Gedankenspiele offen.
Zur ersten Bewährungsprobe könnte es schon bald kommen, wenn nächstes Jahr der Bezirksbürgermeister des neuen Regierungsbezirks gewählt wird. Der PDS-dominierte Bezirk Mitte muss sich mit der früheren SPD-Hochburg Wedding und dem grün regierten Tiergarten zusammenraufen – und der bisherige Bürgermeister von Mitte, Joachim Zeller, hat als undogmatischer Ost-Christdemokrat beste Chancen, mit grünen Stimmen in das Spitzenamt gewählt zu werden.
Eine solche Bürgermeisterwahl, glaubt Finanzsenator Kurth, sei „eine gute Voraussetzung dafür, dass auch weitergehende Perspektiven möglich sind“. Die Schwierigkeiten, die sich vor einer solchen Option auftürmen, sieht Kurth auch als Chance. „Verbalkompromisse“ könne es zwischen CDU und Grünen nicht geben.
Vorerst ist das freilich noch Zukunftsmusik. „Viele Aktivisten der 80er-Jahre würden diesen Schritt nicht mitmachen“, glaubt Grünen-Landeschef Schulze. Vor allem bei der Inneren Sicherheit und in der Ausländerpolitik liegen zwischen den beiden Parteien immer noch Welten. So erscheint ein Bündnis mit der CDU aus Sicht der Grünen in fünf Jahren vor allem als Verzweiflungstat denkbar – damit die Partei nicht tatenlos einer Neuauflage der Großen Koalition zuschauen muss.
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