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■ Ein Nachruf auf sieben Stunden und zwölf Jahre Junges Theater

Und auf einmal war „Frühlingserwachen“: Die Jungs – nur die Jungs? – mussten sich ausziehen und standen nackt auf der Bühne des Bremer Schauspielhauses. Unter ihnen zwei Deutschtürken oder Deutschländer mit Namen Erkan und Erçan Altun. Mutig sind sie gewesen, damals, Ende der 80er Jahre, als sie in Benno Ifflands und Hans Fallas Jugendclub am Bremer Theater Schauspielunterricht nahmen und schließlich Wedekind spielten. Erçan hat irgendwann die Biege gemacht, doch sein Bruder Erkan ist den langen Weg zum Bremer Off-Theater mitgegangen: Vom Jugendclub zum Jungen Theater, das zunächst ein freies Ensemble war und dann bis zur Schließung der Spielstätte an der Friesenstraße am kommenden Wochenende auch ein Haus für Theater gewesen ist ...

Gewesen sein wird.

Vielleicht für immer.

Ein Nachruf ist fällig. Möglicherweise auch ein Abgesang auf sieben Stunden und zwölf Jahre, in denen Erkan Altun, Christoph Backes, Julia Schöb, Judica Albrecht und all die anderen, die gegangen oder geblieben sind, Großes vollbracht und viel Murcks gebaut haben. Naiv waren sie: Wer nicht naiv ist, gründet in Bremen kein Theater. Doch naiv sind sie, die noch geblieben oder von Ausflügen an Schauspielschulen oder ins Musikmanagement zurückgekehrt sind, noch heute: Im Vertrauen auf viele warme Politikerworte und ein Versprechen namens Schwankhalle geben sie ihr Theater im Steintor auf.

Es war einmal ein Lager für Apothekerbedarf. Dann haben sie die Wände schwarz angestrichen und Traversen fürs Licht eingezogen. Lutz Gajewski hat Platten aufgelegt bei der Eröffnungsparty, bei der einem der Staub vom Boden den Mund taub machte. Später, als der sich längst gelegt hatte, haben sie das Sponsoring in der argwöhnischen Bremer Kulturszene salonfähig gemacht: Weil von der öffentlichen Hand anfangs nur ganz wenig Geld und dafür viele Fragen nach dem Sinn geplanter Inszenierungen kamen, war das Junge Theater „powered by West“. Viele Sponsoren sind nach solchen Testläufen erst zu größeren Kultureinrichtungen und dann zum Sport abgewandert.

Geblieben ist die Erinnerung an vorwurfsvolle Fragen: Beeinflusst „West“ euer Programm? Verkauft ihr euch? Nein, das Junge Theater hat sich nicht verkauft – jedenfalls nicht an Sponsoren. Viel rabiater gingen die ungelernten Ökonomen aus der Verwaltung zur Sache: Nachdem die KulturpolitikerInnen das Junge Theater doch noch institutionell förderten und die Arbeit des Ensembles damit honorieren wollten, machten sie ihm den Zugang zu den Projektmitteln schwerer.

Wenn Du nämlich naiv bist und in Bremen etwas Neues anfängst, musst Du zäh und hartnäckig sein: Neulinge werden abgewimmelt, so lange es geht, weil es eben nicht geht – wegen der Haushaltslage. Das Junge Theater blieb zäh und hatte sich dann, nachdem Sponsoren immer schwerer zu finden waren, immer mehr nach der Einschaltquote zu richten: Es sollte seine Eigeneinnahmen erhöhen. Das Programm wirkte kalkulierbarer oder kalkulierter, obwohl der „Erfolg“ kaum zu kalkulieren ist. Andererseits wurde dem Jungen Theater das Leben auch durch das Bremer Theater, aus dem es gekommen war, ein bisschen schwerer gemacht: Autoren wie Schipenko und Nicky Silver werden längst in großen Häusern gespielt.

So bleiben die Erinnerungen: An misslungene und wundervolle Theaterabende, aus denen viele Ausschnitte ab heute Abend zu sehen sind. Erinnerungen auch an Cora Frost und Tim Fischer sowie an die vielleicht schönsten Stunden, als Skins und Punks aus Polen an der Friesenstraße „Romeo und Julia“ spielten, nein lebten.

Christoph Köster

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