: Oben paktieren statt unten regieren
Heute vor zehn Jahren wurde die sandinistische Regierung Nicaraguas abgewählt. Von den Träumen und Visionen blieben nur Wut und Enttäuschung ■ Aus Masaya und Managua Toni Keppeler
Noch immer fließen die Tränen. Nicht mehr aus Fassungslosigkeit, wie an jenem frühen Morgen des 26. Februar 1990, als Daniel Ortega vor die Presse trat und die Wahlniederlage der Sandinisten gegen die konservative Präsidentschaftskandidatin Violeta Barrios de Chamorro eingestand. Heute steigen Lesbia Ortiz Tränen der Wut und Enttäuschung in die Augen. „Sie spricht nicht gern über Daniel“, sagt ihr Sohn Jorge. „Er war immer ein Heiliger für sie. Aber er hat uns verraten.“ Und seine Mutter sagt trotzig: „Ich werde immer Sandinistin bleiben. Ich und meine ganze Familie.“
Lesbia Ortiz stammt aus dem Indigena-Viertel Monimbó in der Provinzstadt Masaya, wo 1978 der Volksaufstand gegen das Regime des Diktators Anastasio Somoza begann. Schon damals war sie dabei. Zu Hause bastelte sie Splittergranaten, so genannte „Kontaktbomben“, bei deren Aufschlag Nägel und Glassplitter in die Gegend stieben. Ihr Mann Alfredo Davila warf sie unter Lebensgefahr in den Militärposten am Eingang von Monimbó. Ein Bruder von ihr kam beim Aufstand ums Leben.
Nach dem Sieg der sandinistischen Revolution am 19. Juli 1979 war sie immer zur Stelle, wenn Ortega seine Anhänger zu Demonstrationen rief. Und ihr Mann rückte schon auch einmal aus, wenn es galt, Contra-verdächtige Oppositionelle zu verprügeln. „Ich gehörte zum sandinistischen Stoßtrupp“, sagt er noch heute stolz. Ihr ältester Sohn Alfredo zog Anfang der Achtzigerjahre mit einer Alphabetisierungsbrigade durch das Hinterland von San Carlos, einer gottverlassenen feuchtheißen Dschungelgegend im Grenzgebiet zu Costa Rica. Und Jorge, ihr Jüngster, meldete sich als 16-Jähriger Ende der Achtzigerjahre freiwillig beim Sandinistischen Volksheer, um im Norden des Landes gegen die von den USA finanzierte Contra zu kämpfen.
Damals, an jenem Morgen nach der historischen Wahl vom 25. Februar 1990, als Ortega aschfahl im Gesicht war und die im Kongress-Zentrum „Olof Palme“ in Managua versammelten Internationalisten aus aller Welt hemmungslos Rotz und Wasser heulten, da weinte auch Lesbia Ortiz. Doch schon wenige Tage später schien alles wieder gut zu sein. Ortega hatte eine feurige Rede gehalten und versprochen, die Sandinisten würden von nun an „von unten regieren“. Der Wahlverlierer wurde als fairer Demokrat und Führer der revolutionären Massen gefeiert.
Und er ist noch heute stolz darauf. „Das Volk hatte die Gelegenheit, gegen den Sandinismus zu stimmen, weil der Sandinismus die Tür zur Demokratie geöffnet hat“, sagt Ortega im Rückblick.
Die „Regierung von unten“ hat es nie gegeben. Kaum war Violeta Barrios de Chamorro Präsidentin, brach auch schon ihre schnell zusammengezimmerte Parteienallianz der Nationalen Oppositions-Union (UNO) auseinander. Die Parlamentsfraktion der FSLN sprang gerne als Mehrheitsbeschaffer ein. Und auch nach der zweiten Wahlniederlage von 1996 wollte Ortega ganz oben mitregieren. In trauter Eintracht stimmen die sandinistischen Abgeordneten mit der Fraktion von Präsident Arnoldo Alemáns Liberal-konstitutionalistischer Partei (PLC).
Einigen Parteilinken, wie Mónica Baltodano, die Ortega lange Jahre treu ergeben war, wurde es zu viel. „78 Prozent der Nicaraguaner leben in Armut, und die FSLN stimmt einer Senkung des Gesundheits- und Erziehungsetats zu“, schimpft sie: „Die letzten Errungenschaften der Revolution gehen verloren.“
Die Hälfte der Nicaraguaner sind heute arbeitslos. Und diejenigen, die Arbeit haben, verdienen durchschnittlich hundert Mark im Monat. An den Straßenkreuzungen von Managua drängen sich die fliegenden Händler. Statt nur einem sind es inzwischen drei oder vier Kinder, die den vor den Ampeln wartenden Autofahrern gegen ein paar Pfennig Trinkgeld den Staub von der Windschutzscheibe wischen wollen. An die Schule denkt keines von ihnen. Die Analphabetenquote, von den Sandinisten einst auf 12 Prozent gedrückt, ist inzwischen wieder auf rund 30 Prozent gestiegen.
Alfredo Davila Ortiz, der einst armen Bauern das Lesen und Schreiben beibrachte, hält diese beiden großen Errungenschaften der sandinistischen Revolution – Bildung und Gesundheit – noch immer in Ehren. Nur weiß er manchmal nicht, wie er die Bleistifte und Hefte seiner beiden Töchter von den 200 Mark monatlich bezahlen soll, die er als Steuereintreiber der Gemeinde Nindiri verdient. Und er weiß es noch viel weniger, seit seine Frau Jasmina eine Unterleibsoperation hatte. Zwar müssen Nicaraguaner in staatlichen Krankenhäusern noch immer keine Arzthonorare bezahlen. Aber Zimmer, Gerätenutzung, Medikamente. „Selbst Wattetupfer haben sie mir auf die Rechnung gesetzt.“ 120 Mark hat die Operation gekostet. Die paar Qudratmeter Wellblech, auf die er gespart hatte, gibt es deshalb vorläufig nicht. Seine Hütte wird auch in der nächsten Regenzeit nicht trocken bleiben.
Aber immerhin: Grund und Boden gehören ihm. Sein Bruder Jorge dagegen hat die Hütte für seine Familie auf ein Stück Land gebaut, für das er bis heute keinen Rechtstitel besitzt. Gleich 1990 war er aus der Armee entlassen worden. Als Entschädigung bekam er das Grundstück am Rand von Masaya zugeteilt. Nur eben keine Papiere dafür. Und so, wie es ihm mit ein paar Quadratmetern geht, geht es tausenden von Kleinbauern, die einst bei der sandinistischen Landreform ein paar Hektar bekamen.
Lange hat die Rechtsunsicherheit niemanden gestört. Doch seit die mit Somoza geflohenen Reichen aus dem Exil in Miami zurückkamen, haben die Alteigentümer hunderte von Klagen eingereicht. Seit Jahren schon schieben die Gerichte diesen Klagenberg vor sich her. Demnächst aber sollen spezielle Agrargerichte eingerichtet werden und ein für allemal Klarheit schaffen. Die dritte große Errungenschaft der Revolution geht Stück für Stück verloren. Auch das haben Ortega und Alemán gemeinsam ausgeheckt.
Parteiapparat fest im Griff – die Basis längst verloren
Rechte wie linke Medien nennen diese Einheitsfront aus Sandinisten und Liberalen schlicht „den Pakt“. Tomás Borge, der letzte noch lebende FSLN-Gründer und Ortegas Stellvertreter im Amt des Generalsekretärs, hört das gar nicht gern. Er spricht lieber von einer „nationalen Übereinkunft, die es möglich macht, die Präsidentschaftswahl im Jahr 2001 zu gewinnen“. Denn Ortega ist mit Alemán überein gekommen, das Wahlgesetz zu ändern. Bislang brauchte der siegreiche Kandidat im ersten Wahlgang mindestens 45 Prozent der Stimmen, um Präsident zu werden. Neuerdings reichen 35 Prozent.
Nach der alten Regel, sagt Borge, „war es unmöglich, dass der Sandinismus gewinnt“. Recht hat er: Ortega war 1990 mit 40,8 und 1996 mit 37,8 Prozent jeweils auf dem zweiten Platz gelandet. Für die Wahl im kommenden Jahr ist bislang noch keine rechte Figur von Format in Sicht. Ein ähnliches Ergebnis könnte dem Dauerkandidaten der FSLN also reichen. Alemán bekommt dafür – auch das eine gemeinsam beschlossene Verfassungsänderung – als ehemaliger Präsident einen Abgeordnetensitz auf Lebenszeit.
„Gewisse sandinistische Funktionäre haben vergessen, dass Macht für Revolutionäre nicht das Ziel ist, sondern nur ein Mittel für tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft“, sagt Monica Baltodano. „Wer mit 35 Prozent der Stimmen gewinnt, ist zwar an der Regierung. Aber er hat nicht die Kraft für diese Veränderungen.“ Borge tut solche Gedanken als „Verbalradikalismus“ und „linken Opportunismus“ ab. Und vielleicht sogar seien sie „das Ergebnis von persönlichen Ambitionen“. Sagt er. Und lächelt. Denn er weiß: Ortega und er haben den Parteiapparat fest im Griff.
Doch ihre Basis haben sie längst verloren. Für Jorge Davila Ortiz ist der Pakt zwischen Arnoldo Alemán und Daniel Ortega ein Pakt zwischen Halunken. Beiden gehe es letztlich um ihre Immunität. Bei Alemán ist die Sache klar: Allein in seiner Zeit als Bürgermeister von Managua, von 1990 bis 1995, wuchs sein Vermögen um sagenhafte 900 Prozent. Und seither ist er noch reicher geworden. Kein anderer Präsident Zentralamerikas nutzt seine Stellung so offen zur Bereicherung.
Und Ortega braucht seine Immunität wegen einer Klage seiner Stieftochter Zoilamérica Narvaez wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs. Vor einem Jahr noch hielt Jorge Davila Ortiz die Anschuldigung, Ortega habe Narvaez seit ihrem elften Lebensjahr regelmäßig mißbraucht, für ein politisches Manöver mit fraglichem Wahrheitsgehalt. Heute geht er ganz selbstverständlich davon aus, dass sein einstiges Idol ein Kinderschänder ist.
Seine Mutter aber hört das noch immer nicht gern. So redet man nicht über einen, dem man so viel verdankt. Sie selbst hat in der Regierungszeit der Sandinisten Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt. Das Rechnen hat sie heute dringend nötig, um mit den wenigen Cordobas über die Runden zu kommen, die der Brot-und-Bohnen-Verkaufsstand im Wohnzimmer ihres Hauses abwirft.
Kleinhändlerin, Büglerin, Zugehfrau – weiter ist Lesbia Ortiz nie gekommen. Aber alle ihre vier Kinder haben Abitur. Ihre jüngste Tochter Mercedes hat sogar Jura studiert und schlägt sich heute als Anwältin so recht und schlecht durch. Die Konkurrenz ist groß, und die Kundschaft hat kein Geld. „Das alles verdanken wir Daniel“, sagt die Mutter. „Aber das heißt nicht, dass ich ihn das nächste Mal wieder wählen werde.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen