: Warum ausgerechnet die Franzosen?
Die Franzosen brauchen Fälle wie Österreich, um das geliebte Selbstbild der Grande Nation des Wiederstands zu reanimieren
Warum reagiert Frankreich so geharnischt auf die FPÖ-Regierungsbeteiligung in Wien? Die Gründe sind komplex. Klar scheint, dass sie für die Franzosen so wichtig sind, dass Paris in der EU die Führung einer „Anti-Haider-Front“ übernommen hat.
Staatschef Jacques Chirac malte als einer der ersten das Schreckgespenst einer „rechtsextremen und ausländerfeindlichen“ Regierung in der EU an die Wand. Sogar der sonst so geschliffene Außenminister Hubert Védrine gab schon zu Wochenbeginn den Ton späterer Erklärungen aus Brüssel vor, indem er von der Notwendigkeit „ständiger Überwachung“ Österreichs sprach.
Laut der gut informierten katholischen Tageszeitung La Croix funktioniert die „cohabitation“ zwischen Gaullist Chirac und der Linksregierung von Premier Lionel Jospin in der „Affäre Haider“ reibungslos. Dies ist eine große Ausnahme, da Chirac und Jospin einander nichts schenken, sondern in die Startlöcher für die Präsidentschaftswahlen 2002 treten. Chiracs „tiefe Sorge“ über die politische Lage in Wien gibt den Eindruck der Nation wieder. Die Franzosen begnügen sich im deutschsprachigen Raum mit Klischees. Ihnen reicht die Gleichung: Haider ist ein Rechtsextremist.
Haider ist nun einmal ein „Faschist“ – jedenfalls nach Ansicht des Starinterviewers auf dem Pariser Radiosender „Europe 1“. Ihm gegenüber wandte der österreichische Botschafter Franz Cesko am Montag erfolglos ein, der FPÖ-Chef sei ein „Demagoge“ und eine schillernde Figur: was Österreich insgesamt betreffe, habe das Land durchaus eingesehen, dass es im Krieg nicht nur Opfer gewesen sei.
Solche Differenzierungen sind in Frankreich auch aus einem weiteren Grund wenig gefragt: Wie die „Opferrolle“ Österreichs im Krieg steht auch der damalige Siegerstatus der Grande Nation auf wackeligen Beinen, und die klare Trennung zwischen Résistance-Kämpfern und Nazikollaborateuren entspricht nicht immer der Realität. Haider trug auch selbst zu den scharfen Reaktionen bei. Mit seinem Verbalausfall gegen Chirac übersah er, dass der französische Präsident gerade in Sachen Extremismusbekämpfung zu Hause sehr respektiert ist: Mit einem Jean-Marie Le Pen will er nichts zu tun haben, und er erkannte auch gleich nach seinem Amtsantritt 1995 die Mitschuld seines Landes an den Judendeportationen im besetzten Frankreich an.
Haider ließ ein altes Gesetz zwischenstaatlicher Beziehungen außer Acht: Wenn die Franzosen laut über ihren Präsidenten und dessen – vermeintliche oder tatsächliche – Unfähigkeit schimpfen, heißt das noch lange nicht, dass Ausländern das gleiche Recht zusteht. Noch etwas übersah der Kärntner Landeshauptmann: In Frankreich wird die politische Auseinandersetzung gerne mal ohne Nuancen ausgetragen. Das schließt eine spätere Beruhigung der Gemüter und der Lage nicht aus. Stefan Brändle, Paris
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