: Der Bratkartoffel-Crashkurs
Sie ist dünn, kross und goldig, sie glänzt und sie duftet. Sie braucht die eine ganz spezielle Pfanne und all unsere Liebe und Aufmerksamkeit. Sie ist vielleicht ein wenig rustikal, auch sehr deutsch, aber sie ist einfach schweinelecker. Und sexy! Auf den Punkt gebracht: die pure Verführung. Zu Theorie und Praxis der Bratkartoffel ein elementarer Beitrag von Wolfgang Schömel
Schon als Student habe ich große Anerkennung für meine Bratkartoffeln errungen, obwohl ich damals noch nicht die Perfektion von heute erreichte. Diese Anerkennung meiner Gäste mag aber auch auf die Lehren zurückzuführen sein, die ich mit der Bratkartoffel und ihrer Zubereitung verknüpfte. In einer Zeit beißenden Vernunft- und Fortschrittsglaubens waren vor allem die Frauen seelisch, ja auratisch und schließlich glücklicherweise auch hormonell bewegt, wenn sie mich an den Pfannen sahen und wenn ich dabei, lange vor Nadolny, die Langsamkeit des Bratvorgangs ins Lebensphilosophische und schließlich ins Erotische verlängerte, wo ich nach dem Essen gerne auch stofflich verweilte.
Heute ist diese Nummer ausgereizt. Den ökologischen Propheten der Langsamkeit steht die saftige Reputation der „Mega-“ und „Turbo-“Akzeleration gegenüber, die aus der Computertechnologie stammt. Und spätestens seitdem sich die Grünen in das Zentralgouvernement eingewurmt haben und statt ihrer Ideen nun ihr Personal vorzeigen, hat die Schnelligkeitskritik den erotischen Impuls zur Gänze verloren.
Ehe nun ein falscher Eindruck entsteht: Ich habe keineswegs fünfzehn Jahre lang ausschließlich Bratkartoffeln kultiviert. Als in den Achtzigerjahren der Lifestyle erfunden wurde, als plötzlich jedermann Balsamico im Küchenschrank hatte und Kopfsalat unmodern wurde, als die Rauke begann, Rucola zu heißen: da habe auch ich angefangen, mehrgängige Menüs zuzubereiten und Soßen von Siebeck nachzukochen. Die Bratkartoffel tauchte allenfalls noch als winzige Beilage auf, sozusagen als kokette teutonische Knallerbse im italienischen Belcanto. Irgendwann war mir klar, dass ich niemanden wirklich beeindrucken konnte mit dieser Kocherei, ja ich glaube sogar, dass mein Image, ein Mann zu sein, der in jeder Hinsicht dem Elementaren zuneigt, Schaden nahm. Es folgte die zweite Bratkartoffelzeit, die bis heute andauert. Ich esse zwei bis vier Mal pro Woche Bratkartoffeln. Als ich neulich in Zermatt zum Skilaufen war, aß ich sogar jeden Abend Bratkartoffeln, schon aus Protest gegen die Beutelschneiderei in diesem Ort. Ich aß sie aber auch in stummer Anklage gegen die Rheingauerin, die eigentlich anwesend sein sollte. Bei ihr, ich muss es gestehen, haben mein Zauber und der meiner Bratkartoffeln versagt. Sie haben versagt, obwohl ich mich, die Rheingauerin liebevoll umsorgend, sogar zur Personen-Pfannen-Gleichzahl entschloss: Das heißt, ich benutzte zwei große Pfannen für zwei Portionen Bratkartoffeln. Heute benutze ich nur noch eine Pfanne für eine Portion Bratkartoffeln, die ich dann achtlos, ja manchmal hasserfüllt vor dem Fernseher wegesse.
Ich schreibe dies in Norddeutschland und habe deshalb die Pflicht, eine öffentliche Bratkartoffeladresse in einer Landschaft vorzustellen, in der man sich überall nasse Füße holt und beim Pinkeln auf elektrisch geladene Zäune achten muss. In den Wirtshäusern bekommt man altes Brot mit fetter Mettwurst im Gummidarm. Anders im Restaurant „Zur Schleuse“ auf dem Wümmedeich (Truperdeich) bei Bremen. Sie biegen, von Bremen kommend, sofort hinter dem Ortsschild Lilienthal links ab und folgen dem Hinweisschild „Restaurant Zur Schleuse“! Die Bratkartoffeln dort sind ganz anderer Art als die meinen, aber ebenfalls ausgezeichnet. Sie werden aus gekochten, gepellten und in Scheiben geschnittenen Kartoffeln hergestellt und mit reichlich Schmalz gebacken. Stammgäste prüfen, ob die Kartoffeln aufeinander gleiten, das müsse so sein, sagen sie. Ich vermute, sie suchen einen Vorwand, um, angeblich zur Verdauung, Schnaps zu trinken. Der Norddeutsche liebt übrigens Speisen, die raue Schnäpse nachfordern, zum Beispiel Grünkohl mit fetten Würsten und Schweinespeck. Ganze Belegschaften und Kegelvereine treffen sich samstags in spezialisierten Landgaststätten, essen Grünkohl mit Pinkel und taumeln anschließend Korn trinkend und grölend durch die fleckenartig übers Flachland verteilten Waldgebiete.
Meine Bratkartoffeln werden aus rohen Kartoffeln und mit wenig Öl gemacht. Benutzen Sie mindestens je eine große schwere teflonbeschichtete Pfanne für zwei Esser. Besser ist, wie gesagt, die Personen-Pfannen-Gleichzahl. Das Gerede der Puristen, Teflonpfannen seien irgendwie uncool, können Sie vergessen. Die gusseiserne Pfanne erfordert viel größere Aufmerksamkeit, und die Bratkartoffeln werden keineswegs besser.
Heizen Sie die Pfanne mit zwei Drittel Hitze an (um die Teflonbeschichtung nicht zu gefährden!), bei einem Elektroherd mit drei Stufen nehmen Sie Stufe 2. Während die Pfannen langsam durchheizen, schälen Sie drei, vier große Kartoffeln (Sieglinde!) für jeden Esser mit dem Kartoffelschäler der Marke Famos, dem besten Kartoffelschäler der Welt, und schneiden Sie die Exemplare mit einem mindestens fünf Jahre alten, nicht rostfreien Windmühlen-Messer von Robert Herder in ziemlich feine Stifte (drei bis vier Millimeter).
Wenn Sie fertig sind, schalten Sie die Platten auf Stufe 3, die nur gestattet ist, wenn Sie den Herd nicht verlassen, und schon gar nicht in Verbindung mit Alkoholgenuss. Sie nehmen einen Esslöffel Olivenöl und Sonnenblumenöl pro Pfanne und warten zwei Minuten, ehe Sie die Stifte in den Pfannen verteilen. Sofort die Platten auf Stufe 2 hinunterschalten! Die Kartoffeln enthalten in dieser Anfangsphase noch viel Wasser, deswegen können Sie mindestens fünf bis sieben Minuten warten, ehe Sie den Pfanneninhalt das erste Mal wenden, dabei die noch zusammenklebenden Stifte voneinander lösend. Vor dem Wenden schalten Sie ein weiteres und letztes Mal kurz auf Stufe 3. Die ersten mittelbraunen Flächen sind jetzt zu sehen. Es darf nichts dunkelbraun oder schwarz werden, dann sind die Bratkartoffeln unwiderruflich verdorben, weil bitterlich und garstig.
Die zweite Bratperiode auf Stufe 2 ist wesentlich kürzer. Nach dem zweiten Wenden schalten Sie auf Stufe 1,5 – also auf halbe Hitze hinunter. Jetzt können Sie Ihr erstes Glas Wein trinken. Ziehen Sie keinen Riesling auf, keinen Sauvignon, keinen Pinot Grigio, keinen Gutedel, nehmen Sie am besten einen Sylvaner oder von mir aus auch einen Chardonnay, letzteren allerdings nur, wenn Sie keinen Ketchup auf die Bratkartoffeln tun. Wenn Sie das tun, können Sie auch einen deutschen Rotwein, zum Beispiel einen trockenen Dornfelder, trinken oder ein dunkles Bier.
Die Platten bleiben jetzt auf maximal halber Hitze. Etwa alle zehn Minuten unterbrechen Sie ihren grüblerischen Gedankengang und wenden die Kartoffeln. Tröpfeln Sie noch einmal etwas Öl gut verteilt über den Pfanneninhalt. Es dauert ziemlich lange, bis die Bratkartoffeln fertig sind. Die Gefahr ist groß, dass Sie bis dahin betrunken sind und alles verderben. Halten Sie sich also zurück! Erst nach etwa einer Stunde sind die Kartoffeln auf die Hälfte ihres Ursprungsvolumens geschrumpft und herrlich gleichmäßig gebräunt. Ein wunderbarer Anblick. Jetzt salzen und pfeffern!
Schneiden Sie mit einem mindestens 15 Jahre alten, nicht rostfreien Windmühlen-Messer für jede Pfanne eine Schalotte in mikroskopisch kleine Würfelchen. Rasch über die Kartoffeln streuen und noch einmal gut wenden, dann die Pfanneninhalte auf die gut vorgewärmten Teller geben. Auf jeden Bratkartoffelberg arrangieren Sie einen isolierten Eidotter, den Sie mit gehackter Petersilie oder Schnittlauch bestreuen. Stechen Sie ihn an, so daß sich der Inhalt langsam durch die Kartoffeln nach unten bewegt. Stellen Sie Avocadocreme auf den Tisch, Salz, grobe Bratwürste aus der Grillpfanne, Dijon-Senf aus ganzen Senfkörnern und reichlich Kopfsalat. Vielleicht auch Ketchup, falls Sie allein essen müssen und niemand guckt.
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