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Umstritten, aber inzwischen üblich

Software-Patente sind für die einen ein Hemmnis für kleine innovative Firmen, für die anderen Schmiermittel des Cyberspace. Europaregel soll kommen ■ Von Christian Krämer

Berlin (taz) – Das digitale Musikformat MP3 revolutioniert die Musikindustrie. Songs aller Art lassen sich damit problemlos über das Internet vertreiben und eröffnen so einen völlig neuen und billigen Vertriebsweg. Die Entwickler der MP3-Software haben sich jedoch gegen neue Konkurrenz geschützt: durch ein umstrittenes Patent auf Softwareentwicklungen. Das vom Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen entwickelte MP3 ermöglicht eine starke Verkleinerung von Musikdateien bei weitgehender Beibehaltung der Klangqualität.

„Jede Form der Weiterentwicklung des Standards kollidiert mit dem Fraunhofer-Patent und wird hinfällig, wenn nicht die entsprechenden Lizenzgebühren entrichtet werden“, kritisiert Daniel Riek, Vorstandsmitglied des deutschen Linux-Verbandes Live. „Patente behindern massiv die Arbeit von innovativen Kleinentwicklern“, urteilt der Verfechter freier Software.

Eigentlich sind nach dem Wortlaut des deutschen Patentgesetzes Computerprogramme als solche keine patentierbaren Erfindungen. In der Praxis wird die Bestimmung aber seit Jahren ausgehebelt: Steht ein Software-Programm in Verbindung mit technischen Geräten, beispielsweise beim Auslösemechanismus eines Airbags in Automobilen, trifft die Bezeichnung Computerprogramm als solches rechtlich nicht mehr zu.

„Die Ideen sind zwar nicht patentierbar“, erklärt Rolf Ohmke, Leiter der Siemens-Patentabteilung für Kommunikationstechnik, „wohl aber die technischen Erfindungen.“ Und davon gibt es einige. Rund 3.000 softwarebezogene Erfindungen hat sich die Siemens AG im letzten Jahr patentieren lassen. Allein für die Patentanmeldung beschäftigt der Konzern weltweit 280 Anwälte. Nach Informationen des Deutschen Patentamtes sind europaweit bereits mehr als 20.000 Software-Erfindungen patentiert.

Dagegen verweist Live-Vorstand Riek darauf, dass Computerprogramme nichts anderes als mathematische Rechenverfahren sind, die ausdrücklich von der Patentierbarkeit ausgenommen werden. Denn Programme zur Datenverarbeitung können nicht erfunden, sondern nur entdeckt werden, da ihre Bestandteile – mathematische Methoden – allesamt bereits bestehen. „Mathematische Formeln dürfen nicht in Privateigentum übergehen“, lautet daher seine zentrale Forderung. Seines Erachtens werden kleine, innovative Firmen ohne eigene Rechts- oder Patentabteilung benachteiligt.

Bei Siemens möchte man von einer starken Patentmacht großer Konzerne nichts wissen. Natürlich habe man gewisse Vorteile gegenüber kleinen Start-up-Firmen, so Ohmke. „Dennoch ist Größe nicht gleich Patentmacht.“ Auch Start-up-Firmen halten wertvolle Patente, wie beispielsweise das amerikanische Technolgieunternehmen Qualcomm, das in den USA führend in der Entwicklung drahtloser Datenübertragungen ist. Qualcomm, deren Börsenwert 1999 um sagenhafte 2.600 Prozent zugelegt hat, streicht Lizenzgebühren für einen US-amerikanischen Mobilfunkstandard ein.

Allerdings seien Patente laut Siemens-Fachmann Ohmke speziell in der InfoCom-Branche dringend erforderlich, um die hohen Ausgaben für Forschung und Enwicklung (FuE) auszugleichen. Rund 20 Prozent des Umsatzes werden hier in Forschung und Entwicklung investiert, zumal die Produktzyklen immer kürzer werden. „Neue Techniken werden immer schneller von der nächsten Generation abgelöst“, erklärt der Patentspezialist von Siemens. Patente gleichen dementsprechend über die Einnahme aus Lizenzgebühren die FuE-Kosten wieder aus. Mitbenutzer und Nachahmer des technischen Fortschritts werden zur Kasse gebeten. Patente dienen somit gleichermaßen als Ansporn und Belohnung innovativer Unternehmen.

Kritiker verweisen hingegen darauf, dass Patente auch Verwirrung stiften. Unabhängige Software-Entwickler seien schwerlich in der Lage, alle Patentanmeldungen zu kennen. Jeder Entwicklungsschritt kann hinfällig werden, wenn dieser bereits patentiert ist. Konzerne schützen sich auf diese Weise gegen ungeliebte Wettbewerber. „Patentregelungen verzögern die Weiterentwicklung von Software-Standards und sind wettbewerbsschädlich“, klagt Live-Vorstand Riek. Außerdem benachteilen Patente die Mitarbeiter, die bei einem Firmenwechsel ihre Idee nicht mitnehmen dürfen. „Patente enteignen förmlich das Humankapital der Arbeitnehmer“, so Riek.

Auf europäischer Ebene wird indessen über ein gemeinsames Patentrecht nachgedacht. Auch eine Angleichung an das amerikanische Recht, wo Patente im Softwarebereich seit 1981 möglich sind, wird nicht mehr ausgeschlossen. Eine derartige Regelung befürwortet bereits der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). „Angesichts der enorm gewachsenen Bedeutung von Software für alle Bereiche der Industrie ist ein wirksamer Patentschutz von Softwareerfindungen dringend erforderlich“, betont ZVEI-Hauptgeschäftsführer Franz-Josef Wissing.

Dabei zielt der ZVEI auf die Förderung innovativer Unternehmen. „Patente müssen leicht zu schützen sein – auch für kleine Firmen“, ergänzt Thomas Dilba, Ausschussvorsitzender für gewerblichen Rechtsschutz im ZVEI. Denn sonst würden andere Konzerne ihre Markt- und Finanzkraft leicht missbrauchen können. Doch gerade an Effizienz mangelt es im deutschen Patentrecht. Zu langwierig, zu teuer und zu unflexibel, lautet das Urteil des ZVEI. Durchschnittlich zweieinhalb bis drei Jahre dauert eine Patentanmeldung und kostet in der Regel zwischen 5.000 und 7.000 Mark.

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