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„Null Toleranz“ für Polizeigewalt

Mit dem Freispruch der Polizisten im Fall Diallo gerät New Yorks Law-and-Order-Politik unter Beschuss. Denn die Opfer gehören fast immer Minderheiten an ■ Von Peter Tautfest

Die vier Polizisten weinten bei der Urteilsverkündung vor Erleichterung. Das Geschworenengericht in Albany im Staat New York sprach sie von dem Vorwurf frei, am 4. Februar 1999 im New Yorker Stadtteil Bronx den unbewaffneten jungen Migranten Amadou Diallo aus Guinea ermordet zu haben. Die Geschworenen, acht Weiße und vier Schwarze, billigten den Angeklagten zwischen 27 und 37 Jahren zu, dass sie sich mit einer Waffe bedroht sahen.

Diallos Mutter ermahnte die Demonstranten, deren Sprechchöre täglich im Gerichtssaal zu hören gewesen waren, ermahnte, auf Gewalt zu verzichten.

Das Bundesjustizministerium untersucht unterdessen, ob in dem Fall, der nationales wie internationales Aufsehen erregte, Diallo seiner Bürgerrechte beraubt und damit Bundesrecht verletzt wurde. Auch im Falle Rodney Kings, der in Los Angeles von Polizisten misshandelt worden war und dessen Peiniger 1992 von einem Stadtgericht freigesprochen wurden, erwirkte erst das Verfahrten vor einem Bundesgericht eine Verurteilung. Wegen des Freispruchs war es zu den bis dahin schwersten Aufständen in Los Angeles gekommen. Die Eltern Diallos wollen Zivilklage erheben. Auch eine interne Untersuchung der New Yorker Polizei steht noch aus.

Amadou Diallo, der als Straßenverkäufer in New York arbeitete und für ein Collegestudium sparte, geriet in der Nacht vom 4. Februar letzten Jahres in eine Konfrontation mit einer Sondereinheit der New Yorker Polizei.

Die vier Polizisten suchten einen bewaffneten Vergewaltigter. Sie sprangen mit gezogenen Pistolen aus ihrem Auto. In zehn Metern Entfernung standen sich Diallo im Eingang seines Hauses und die Polizisten in Zivil gegenüber. Diallo zog – möglicherweise im Glauben, er werde überfallen – aus seiner Jackentasche ein Portmonnee, das die Polizisten für eine Waffen hielten.

41 Schüsse fielen, wovon 19 Diallo trafen, die meisten, als er fiel oder schon am Boden lag. Die Staatsanwaltschaft plädierte auf „Mord“, die Täter hätten „jede Achtung vor dem Leben vermissen lassen“. Die angeklagten Polizisten schilderten dagegen vor Gericht unter Tränen ihre Situation: Sie hielten Querschläger und das im Glas der Eingangstür gespiegelte Aufblitzen ihres Mündungsfeuers für Schüsse Diallos – und berichteten, wie entsetzt sie waren, als sie keine Waffe bei der Leiche Diallos fanden.

Der Tod Diallos und der Freispruch der Polizisten hat zu heftigen Vorwürfen gegen die „Null Toleranz“-Politik der New Yorker Polizei geführt, die auch Bagatelldelikte mit extremer und nach von vielen als unverhältnismäßig empfundene Härte verfolgt. Die New Yorker Polizei ist zu 70 Prozent weiß und geht überproportional gegen Schwarze und andere Minoritäten vor. Täglich werden rund 19 Klagen gegen Polizisten eingereicht. Die Stadtverwaltung veranschlagt in ihrem Haushalt deswegen jährlich 20 Millionen Dollar für Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Kritiker der New Yorker Polizei und Bürgermeisters Rudolph Giulianis wie der schwarze Pfarrer Al Sharpton vergleichen den Fall Diallo mit dem Abner Louimas, dem haitianischen Einwanderer, dem 1997 in einer Brooklyner Polizeistation ein Besenstiel in den After gerammt worden war – der Täter wurde im vergangenen Jahr zu einer lebenslanger Haftstrafe verurteilt.

Die vier Polizisten, die Diallo töteten, gehörten zu einer Sondereinheit an, die aggressiv gegen Gewaltverbrechen in New York vorgehen soll. Ihr gehören Beamte an, die darauf geschult werden, an Körpersprache, Gang, Mimik und Gehabe zu erkennen, wer eine Waffe trägt. Diese Einheit machte 1998 ein Prozent der Polizeikräfte aus, nahm aber fast die Hälfte aller Festnahmen vor, bei denen Waffen konfisziert wurden.

James Fyfe, ehemals New Yorker Polizist, heute Professor an der Temple University und Experte für Polizeiübergriffe, sagte im Prozess für die Verteidigung aus, das Vorgehen der Polizisten habe den Regeln entsprochen. „Die Bildung dieser Truppe beschwor ein Unglück herauf, das nur darauf wartete, sich zu ereignen.“

Auf dem Prüfstand steht nun also nicht nur der Rassismus der New Yorker Polizei, sondern auch deren umstrittene Taktiken. Gegen die Einordnung des Falles in das rassistische Sündenregister der New Yorker Polizei sprechen zwei Zahlen: Eine überproportional hohe Zahl von schwarzen Opfern der New Yorker Polizei wird von schwarzen Polizisten erschossen. Mehr schwarze New Yorker wurden in den vier Jahren der Regierung des schwarzen Bürgermeisters Dinkins erschossen als in den sieben Jahren der Regentschaft seines Nachfolgers Giuliani.

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