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Kaffee nur im Kännchen

Das legendäre Café Kranzler fällt dem Aufschwung West zum Opfer: Während ringsum das neue Berlin entsteht, konservierte das Kaffeehaus den Mief der Achtziger ■ Von Ralph Bollmann

Zwei Stunden schon sitzen die drei Damen aus Dahlem am Nebentisch. Vor einer Stunde haben sie den letzten Tropfen aus ihren blechernen Kaffeekännchen gewrungen, denen die Kellnerin zum Schutz der Tischtextilien einen Bierdeckel untergeschoben hatte. „Dann werd ich mal sehen“, sagt die Frau mit Topffrisur und streng kariertem Kleid, „ob ich’s noch erlebe, dass das Kranzler neu aufgemacht wird.“

Heute bringen die Kellner des Traditionscafés am Kurfürstendamm, der einstigen Prachtmeile des alten Westberlin, zum letzten Mal Erdbeerschnitten und Eierlikörtorte auf den Tisch. Nach einem Umbau soll ein Kaffeehaus gleichen Namens im Oktober wieder öffnen, doch nicht nur der Altersdurchschnitt der Stammkundschaft macht einen Neubeginn im alten Stil wenig wahrscheinlich. Schon reckt sich hinter dem Café ein 16-stöckiger Hochhausriegel empor. Er degradiert das dreistöckige Kranzler-Gebäude aus den Fünfzigerjahren zu einem bloßen Anhängsel, das der Investor künftig als „Schlemmerpassage“ vermarkten will.

Das mögen die Senioren und Touristen bedauern, die das Kranzler heute zum letzten Mal bevölkern. Doch in Wahrheit ist das Café nur das prominenteste Opfer eines höchst erfreulichen Prozesses: Mit dem Westen der Stadt geht es wieder bergauf.

In den Neunzigerjahren schien der Niedergang unaufhaltsam. Traditionelle Geschäfte und Restaurants schlossen reihenweise. Die Kulturkaufhäuser Fnac, Virgin und Herder gaben wieder auf, kaum dass sie geöffnet hatten. Wer etwas auf sich hielt, drängte in den jungen, wilden Osten. Zurück blieb die Generation Charlottenburg – frustrierte 50-Jährige, die keine Energie für einen Neuanfang aufbrachten. Der Regierungsumzug in die neue Mitte würde, so glaubten viele, das Schicksal des alten Westens besiegeln. Schon jetzt, wenige Monate später, steht fest: Das Gegenteil ist der Fall.

Vom winzigen Coffeeshop bis zum noblen Design-Kaufhaus eröffnen überall neue Geschäfte. Sogar Berlins erste Suppenbar entstand – man musste die Meldung zweimal lesen – nicht etwa in den Trend-Bezirken des Ostens, sondern am hinteren Ende des Kurfürstendamms. Und während sich die Stadtregierung schwer tut, Investoren zum Bau von Hochhäusern am östlichen Alexanderplatz zu animieren, sprießen die Wolkenkratzer in der westlichen City reihenweise aus dem Boden.

Kaum zelebriert der neue Intendant Claus Peymann am zentral gelegenen Berliner Ensemble behäbiges Bürgertheater, haben die jungen Wilden aus dem Osten die Schaubühne am Kurfürstendamm übernommen – und finden ihre neue Umgebung höchst abenteuerlich. Selbst an der kriselnden Deutschen Oper, deren Abwicklung schon ausgemacht schien, hat der Regisseur Hans Neuenfels mit seinem schrillen „Nabucco“ dem saturierten West-Establishment gerade einen veritablen Opernskandal beschert.

In solchem Ambiente war das Kranzler nur noch eine lästige Erinnerung an die tristen Neunziger. Es hatte ohnehin nichts mehr mit jenem Kaffeehaus gemein, das der österreichische Zuckerbäcker Johann Georg Kranzler 1825 an der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden eröffnet hatte. Im Krieg wurde es ebenso zerstört wie die Filiale am Kurfürstendamm, die 1958 neu erstand. Als der jetzige Betreiber das Café vor 15 Jahren übernahm, hatte er allerdings auch den Charme der Fünfziger getilgt.

In Billigreiseführern noch immer als „Wahrzeichen“ der Stadt angepriesen, bestand das Café in Wahrheit nur noch aus zwei schmalen Wintergärten. An den Stahlträgern blätterte die Farbe ab, und das berühmte Rotweiß der Markisen hatte unter grünlichem Moos seine Strahlkraft längst eingebüßt. Drinnen wucherte aus den Messinglampen verstaubter Plastikfarn.

Mit derbem Berliner Charme servierte das Personal den Kaffee nur kännchenweise („Tasse jibt’s nich“). Darüber konnten die Touristen, die im Gegensatz zu den wehmütigen Stammgästen von der Schließung nichts ahnten, auch am letzten Wochenende nicht hinwegsehen. „Wir haben 15 Minuten gewartet, um einen Tisch zu bekommen“, schimpfte ein Mann mit amerikanischem Akzent, „und weitere 15 Minuten, um einen Kaffee zu bestellen.“

Den Bedürfnissen des Amerikaners wird die neue „Schlemmerpassage“ gewiss mehr entgegenkommen. Schwierig wird es dagegen für die gemächlichen Greise aus dem Grunewald – gelten sie doch in der schönen neuen Welt der Schnellgastronomie als die reinsten Renditekiller.

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