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EU-Kommissionschef Prodi wird zunehmend schärfer kritisiertDie Nutzlosigkeit der Eigenwerbung

Die ernüchternde Wirkung des Satzes „Der Kaiser hat ja gar keine Kleider an!“ kennen wir aus dem Märchen. Irgendwer muss in Brüssel kürzlich ähnlich despektierlich gerufen haben, mitten in das leutselige Lächeln von Kaiser Romano hinein – denn ganz plötzlich ist der Lack ab von der Lichtgestalt.

Dabei war uns der Mann doch gerade eben noch so sympathisch. Bescheidene Vermögensverhältnisse: Fünfzig Prozent eines Zwei-Raum-Apartments in der Strada Maggiore in Bologna gab er in der Vermögenserklärung für die Parlamentsbefragung an. Bescheidener Lebensstil: Die Bilder, wie er volksnah und telegen am autofreien Europatag durch den Brüsseler Jubelpark radelte, gingen um die Welt.

Sechs Monate später lächelt Prodi unverändert großmütterlich und bekundet weiterhin wöchentlich seinen Reformwillen. Morgen wird die Kommission sogar ein Weißbuch zur Kommissonsreform vorlegen. Und doch ist das Gemecker über Prodi in Brüssel unüberhörbar. Erst am Wochenende kam es zu dem bisher einmaligen Ereignis, dass die EU-Ratspräsidentschaft – momentan die Portugiesen – einen Kommissionschef öffentlich harsch kritisierten.

Vor einem Jahr hielt die Financial Times Prodi noch eindeutig für den Richtigen, um Europa ins nächste Jahrtausend zu führen, und schilderte ihn als „realistisch, mit enormer Erfahrung in ökonomischem Management“. Gestern jedoch zeigte die neue Financial Times Deutschland die Karikatur eines im Morast versinkenden Prodi und schrieb, dass ein „Bild mangelnder Professionalität“ entstanden sei.

Das trifft tatsächlich den Kern, denn nur um Bilder geht es. Ein Bild erfrischender Dynamik hatten diejenigen von Prodi im Kopf, die zunächst hymnische Kommentare über den neuen Stil in Brüssel verfassten. Was der Mann tatsächlich in seinem bisherigen Leben politisch bewegt hatte, konnten die wenigsten beurteilen, die da gute Noten verteilten.

Alle, die nun laut schimpfen, müssen sich fragen lassen, ob sie wirklich eine Sekunde lang geglaubt haben, ein privilegienverwöhnter Beamtenhaufen mit 18.000 Mitarbeitern aus fünfzehn Nationen würde sich innerhalb von Monaten in modernes, projektorientiertes Management verwandeln lassen. Tatsächlich haben gerade die, die zu Anfang eifrig Vorschusslorbeeren aufhäuften, Prodi in der Überzeugung bestärkt, dass es sich auszahlt, mehr Energie in werbewirksame Aufritte als in die Reformarbeit hinter den Kulissen zu stecken.

Daniela Weingärtner

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