: Kaffeehauscasanova
Vom Dandy zum Swinger: Bryan Ferry sang im ICC die größten Hits der 30er-, 70er- und 90er-Jahre ■ Von Jenni Zylka und Daniel Bax
Eine der Grundregeln des guten Geschmacks lautet: Man darf das Anzugtragen nicht den Spießern überlassen. Aber man muss aufpassen, dass man dabei nicht selbst allzu sehr verspießert. Bryan Ferry zählt schon seit dreißig Jahren zu den bestangezogenen Schnöseln im Pop-Geschäft. Doch in den letzten Jahren hatte es den Eindruck, als würde er zusehends hinter elegischen Zigarettenrauchschwaden und der Maske des sensiblen Lebemanns verschwinden, während sich die schillernde Persönlichkeit in ätherischer Melancholie aufzulösen schien.
Anders gesagt: Gewisse Anzeichen der Lifestyle-Verspießerung waren nicht zu leugnen. Sein letztes Album klang schon stark nach nostalgischem Abgesang: Auf der Suche nach dem perfekten Bryan-Ferry-Song war der Sänger zuletzt in den 30er-Jahren hängen geblieben, beim Swingjazz eines Cole Porter und bei eingeenglischten Balladen von Weill oder Hollaender, im Hochkulturmausoleum also. Und auch der Auftrittsort erschien wie ein Menetekel: Endstation ICC, als Gala-Gast vor entfesselten Versicherungsvertretern?
An Biederkeit kaum zu übertreffen ist das Konferenzzentrum am Funkturm, und dessen nach einem beeindruckenden Regelsystem bestuhlte große Saal brodelte auch am Abend des Auftritts nicht gerade über vor lauter Dandytum, sondern erinnerte eher an die Atmosphäre eines deutschen Jazz-Konzerts in der Bierpause.
Das Programm eröffnete überraschend eine Harfenspielerin (die aber mit Andreas Vollenweider glücklicherweise nur die blonden Locken gemein hatte), ein paar Takte klimperte und dabei sehr grazil aussah. Ihr gesellte sich ein weibliches, ebenfalls durchgängig blondes Streichquartett zur Seite, an dem auch Robert Palmer seine Freude gehabt hätte, und allmählich baute sich mit Bläsern, Schlagzeug und einem Pianisten, in Frack und Fliege, der Frauenriege gegenüber eine männliche BigBand auf. Zu deren Kaffeehausswing-Klängen schlenderte Bryan Ferry auf die Bühne. Doch von wegen „bestangezogen“: in Berlin hielt er es, krawattenlos, mit einem Jackett zur Lederhose (!).
Alles deutete also auf eine gepflegte Altherrennummer hin, zur Dekoration blinkten kleine Lämpchen als künstlicher Sternenhimmel in zartem Lila, und die Rezensentin wollte an dieser Stelle am liebsten ein Stück Kuchen bestellen. Und lauschte der Darbietung mit kritischem Ohr: „Love me or leave me“ ist schließlich ein wunderschönes, schon tausendmal interpretiertes Lied aus dem Broadway-Musical „Whoopee“, doch Bryan Ferry singt es ein bisschen wie ein nervenkranker Friseur kurz vor dem Ertrinken. Vielleicht benötigt es auch nur eine gewisse Zeit, um sich daran zu gewöhnen, das Ferrys manierierte Stimme zum federnden Swingrhythmus so wenig zu passen scheint wie Nick Cave zu Kirmestechno.
Doch Ferry selbst ließ die Eingewöhnungsphase gar nicht zu lang werden, sondern ging bald über zu eigenen Klassikern wie „Smoke gets in your eyes“. Und ließ es fortan, von kurzen Instrumental-Einspielern der Swing-Band abgesehen, 70er- und Roxy-Music-mäßig krachen, dass es eine Freude war.
Das Publikum, anfänglich noch etwas verwirrt, schied sich nun in die Jazzfraktion (die nach jedem Instrumentalsolo der Swinger klatschte) und die bürgerlich gewordenen Ex-Freaks (die nach den ersten Akkorden von „Do the strand“ begeistert losheulen). Die Swingfans hatte Ferry spätestens bei „Avalon“ auf seine Seite gebracht (denn auch bärtige Swingfans haben eine Vergangenheit mit Jugend und Engtanz).
Am Ende wand sich Ferry zu „Casanova“ in den Hüften, als ob er noch mal 30 wäre, und riss den Saal bei „Let’s stick together“ und „Love is the Drug“ aus den Sitzen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Streicherinnen ihre langen Haare längst malerisch gelöst, und der Sternenhimmel zuckte so hektisch wie psychedelisch im Hintergrund. Nur eines hatte Ferry an diesem Abend konsequent ausgespart: aus den eher sterilen 80ern spielte er keinen einzigen Song.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen