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Hölzerne Eigenleben

Die Kunsthalle Recklinghausen zeigt zwölf Menschenfiguren des japanischen Bildhauers Katsura Funakoshi ■ Von Peter Ortmann

Ein süßlicher Duft durchzieht den ehemaligen Hochbunker im Ruhrgebiet. Der Geruch stammt vom asiatischen Kampferholz, dem Arbeitsmaterial des japanischen Bildhauers Katsura Funakoshi. Seine hölzernen Menschenfiguren führen ein Eigenleben in den leeren Räumen: Ihre intensiven, hellen Augen starren ins Nichts. Beobachten teilnahmslos die unendlichen Sphären jenseits physischer Existenz. Funakoshi hat seine erste europäische Museumsausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen.

Der Standort dafür ist ungewöhnlich für einen Künstler, der schon 1988 auf der Biennale in Venedig vertreten war und 1992 bei der documenta IX seinen internationalen Durchbruch erlebte. Doch Funakoshi produziert keine Mengen. Zu wenig vielleicht für riesige Kunsttempel. Und niemals auf Halde. Zwölf Figuren erarbeitet er nur im Jahr. Zwölf Figuren stehen auch auf drei Etagen in Recklinghausen – eine Jahresproduktion. Und die ist so gut wie ausverkauft. Als kurz vor der Eröffnung eine Firma aus der Telekommunikationsbranche ein Werk erstehen wollte, hatte der Käufer nur noch die Auswahl zwischen zwei übrig gebliebenen Skulpturen. Man hat sich kurzerhand entschieden. Eine Viertelmillion Mark wechselte den Besitzer. Nicht schlecht für den katholischen Akademieprofessor aus Tokio. Doch seine Figuren sind es wert. Und ihr Wert wird in den nächsten Jahren sicher steigen. Viele Interessenten, wenige Arbeiten, das treibt den Preis. Man denke da nur an Anselm Kiefer zur Volkszählungszeit. Diesmal gibt es für den Japaner die langen Listen mit kaufwilligen Sammlern und Museen aus aller Welt.

Funakoshis Werk ist eine stille Kontraposition zum zeitgenössischen, eher expressiven Schaffen seiner Kollegen. Schon früh kam der Sohn des berühmten japanischen Bildhauers Yasutake Funakoshi mit europäischer Kunsttradition in Berührung. Besonders das Werk des spätgotischen Bildschnitzers Tilman Riemenschneider hat ihn dabei beeindruckt. In der Synthese von japanischen und europäischen Einflüssen liegt sicher ein Schlüssel zur Außergewöhnlichkeit seiner Kunst des Realismus, die weit entfernt ist von der rissigen Rohheit eines Stefan Balkenhol oder der poppigen Sterilität Duane Hansons.

Ganzkörperskulpturen sind bei Funakoshi selten. Meist sind es lebensgroße Halbfiguren, die auf Metallständern stehen, sodass der lebensechte Kopf sich in Augenhöhe befindet. Alle Arbeiten sind zweiteilig. Kopf und Körper werden jeweils aus massiven Holzblöcken geschlagen, anschließend bemalt und poliert. Arbeitsspuren der letzten Bearbeitung bleiben sichtbar. Um Rissen im weichen Holz des japanischen Lorbeerbaumes vorzubeugen, sind die Figuren ausgehöhlt – der Kopf bis auf wenige Zentimeter Wandstärke. In die ausgefrästen Augenhöhlen setzt Funakoshi am Schluss bemalte und lackierte Marmoraugen ein. Diese Form der Verlebendigung entdeckte er bei den japanischen Bildhauern der Kamakura-Periode, die vor rund 800 Jahren versuchten, ihren Plastiken mit Augen aus Glas Leben einzuhauchen.

Doch Bildhauer können kein menschliches Wesen erschaffen, das weiß auch Funakoshi. Trotzdem strahlen seine Figuren eine unglaubliche Präsenz aus. Sie brauchen viel freie Fläche. Könnten nie in Gruppen zusammen gestellt werden, denn jede einzelne umgibt eine fast körperlich spürbare Aura der Unnahbarkeit. Man kann ihnen kaum in die Augen schauen. Ihr Blick geht durch den Betrachter hindurch, verlässt den Raum, verliert sich in der Unendlichkeit. Beide Augen zeigen nach außen. Es ist dieser weltvergessene Blick, der Funakoshis Werk einzigartig macht.

Die Körper der Plastiken sind dagegen wesentlich abstrakter. Sie haben eine verlängerte Büstenform und führen offensichtlich ein Eigenleben. Wortreiche Titel wie „The Moon on the Northermost“ (1995) oder „A Comb of the sound“ (1999) beziehen sich auf die Haltung der Körper und erlauben zusätzliche Assoziationen: „Hier findet auch eine vorsichtige Entwicklung im Werk von Katsura Funakoshi statt. Eine Art von verhaltenem Expressionismus“, so der Museumsleiter der Kunsthalle Recklinghausen, Dr. Ferdinand Ullrich. „Aufgeschraubte Bekleidungsteile aus Blech und angesetzte Holzformen sind im Laufe der Jahre hinzugekommen.“

Das Wesentliche der Arbeiten ändert sich dadurch nicht, und das ist Segen und Fluch zugleich. Funakoshi hat den Punkt erreicht, wo die Darstellung des Nichtsichtbaren bei einer Plastik vollendet ist. Bei jeder neuen Arbeit wird er in gewisser Hinsicht, wie Lucio Fontana beispielsweise auch, zum Wiederholungstäter. Nur radikale Veränderung kann hier noch Entwicklung schaffen. Man wird hoffen müssen.

Katsura Funakoshi: Skulpturen und Zeichnungen. Bis 19. März, Kunsthalle Recklinghausen.

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