: Schmerzen im Einband
■ Kafkaeskes Plädoyer fürs Lesen: Peter Jacobis erzählt in „Mein Leben als Buch“ eine Verwandlungsgeschichte
Als Dietrich Oger eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in ein Buch verwandelt. – Einen Moment, so was gabs doch schon mal. Gregor Samsa hieß der tragische Held, Franz Kafka hat ihm in seiner Erzählung Die Verwandlung ein schweres Schicksal als Insekt aufgebürdet. Der 1951 in Thüringen geborene Autor Peter Jacobi hat das metamorphotische Thema nun in seinem schmalen Roman Mein Leben als Buch zu metaliterarischen Zwecken in Dienst genommen.
Dergestalt also liegt das Buch Dietrich in seinem Bett, erstaunt, aber interessiert an seinem neuen Ich und seiner Umwelt. Fortan muss Gisela, seine Lebensgefährtin, für ihn mit der Außenwelt kommunizieren. Es ist zwar möglich, in Herrn Oger zu lesen, doch muss er getragen werden und kann sich lediglich in aufgeschlagenem Zustand – und zwar nur schriftlich – mitteilen. Man erfährt allerhand Wissenswertes aus dem Leben eines Buches: welche Haltung am bequemsten ist – niemals sollte man es aufgeschlagen liegen lassen, das tut im Einband weh – oder dass die Lettern auf den Seiten beim Sex prickeln. Über die unglaubliche Veränderung ihres Freundes erschrocken, unternimmt Gisela zunächst einige Rettungsversuche, allerdings ohne Erfolg. Dietrich Oger hingegen beginnt Gefallen an seiner Situation zu finden. Er, der sein Leben lang ein passionierter Leser war, genießt es, ein Buch zu sein. Umso größer ist die Enttäuschung, als er von seinem besten Freund Gerold erfährt, er sei schlecht geschrieben.
Während Peter Jacobi am Anfang sehr bemüht auf Komik setzt, gewinnt der Roman mit Fortschreiten der Handlung an Wortwitz und Poesie und erinnert sprachlich an T.C.Boyle oder Paul Auster. Am Ende entdeckt Dietrich Oger seine magische Fähigkeit, Wesen absorbieren und in Sprache verwandeln zu können. Das Buch beharrt darauf, eine eigenständige Persönlichkeit zu sein, und wir erfahren auch, wie es sich selbst zur Veröffentlichung verhalf. Das Ganze läuft auf ein Plädoyer für das Lesen an und für sich und eine Feier der Unsterblichkeit des Buches hinaus.
So kommt einem wieder die Warnung im „Vorwort des Herausgebers“ in den Sinn, wo ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass der Verlag für eventuelle Schäden, die sich aus der Lektüre ergeben, nicht haftet – wenn man sich nämlich bei der fürsorglichen Frage ertappt: Halte ich dich eigentlich richtig so? Mithin tut man dem Buch auch mit sehr gemischten Gefühlen den Gefallen, um den es seinen Leser im letzten Satz bittet: Klappe mich zu.
Moritz Lautenbach
Peter Jacobi: „Mein Leben als Buch“. Roman. Nautilus, Hamburg 2000, 144 Seiten, 24,80 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen