Heißer Dampf bei der Deutschen Bahn

Nicht alle Maßnahmen, durch die Bahnchef Mehdorn einsparen will, wird er so einfach umsetzen können. Protest gegen Sparmaßnahmen formiert sich bei den Kommunen und gegen den Personalabbau ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Der politische Druck, den Bahnchef Hartmut Mehdorn zur Zeit in der Öffentlichkeit mit seinen Verlautbarungen aufbaut, ist enorm. Fast 65.765 Arbeitsplätze stünden bei der DB in den kommenden vier Jahren zur Disposition, heißt es immer wieder. Zugleich sollen Gleise und Ausweichstellen in großem Umfang abgebaut werden. Dies sei die notwendige Konsequenz aus einem Kassensturz, zitierte die Süddeutsche Zeitung gestern Leuthold Lewin, Vorstandsmitglied in der Netz AG, der vor kurzem den Gesamtbetriebsrat Netz in Darmstadt besucht hat. Zum einen werden Großbaustellen wesentlich teurer als ursprünglich kalkuliert (siehe Kasten). Doch auch in anderen Betriebsteilen der Bahn sehe es nicht besser aus, soll Leuthold Lewin den Betriebsräten berichtet haben. Die Pressestelle der Deutschen Bahn AG wollte den Bericht gestern nicht kommentieren.

Der neue DB-Chef Hartmut Mehdorn hatte bereits im Januar den Mitgliedern im Bundesverkehrsausschuss vorgerechnet, dass die DB vielfach benachteiligt ist und ohne bessere politische Rahmenbedingungen in den Abgrund fahre. Als einzige Bahn Europas muss sie den vollen Mehrwertsteuersatz berappen. Während sie für jeden gefahrenen Kilometer Trassengebühren zahlt, kommt der Lkw mit 3.900 Mark KfZ-Steuer und Straßennutzungsgebühr in Deutschland aus, legte Mehdorn dar und berief sich dabei auf den Fahrgastverband „Pro Bahn“. Zudem hat der Bund die im Bundesverkehrswegeplan 1992 vorgesehenen Hilfen für Schieneninfrastruktur von jährlich neun Milliarden Mark auf 5,5 zusammengestrichen – Tendenz sinkend, während die Straße kaum Abstriche machen müsse, monierte der Bahnchef.

„Wenn Mehdorn den Arbeitsplatzabbau durchsetzen will, muss er erst einmal einen Arbeitskampf bestehen“, kündigte der Sprecher der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, GdeD, Hubert Kummer, gestern an. Zur Zeit gilt noch ein Beschäftigungsbündnis, das bis Ende 2002 betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. „Leider hat der Vertrag allerdings ein Revisionsklausel“, räumt Kummer ein.

Klar sei, dass es nach einem Abbau von z. B. 7.000 der heute noch 23.600 Lokomotivführer zu einer massiven Angebotseinschränkung kommen müsse, so Kummer. Zwar gäbe es zur Zeit noch ein bisschen Luft bei der Effizienz – 10 bis 15 Prozent mehr Arbeit sei bei einer Umorganisation für den einzelnen Lokführer wohl drin, so der Gewerkschaftssprecher. „Aber einen vollautomatisierten Betrieb wird es nicht geben.“

Ganz vollautomatisiert vielleicht nicht, aber die Pläne der Bahn setzen auf jeden Fall auf mehr Automatisierung im Fahrbetrieb. Tatsächlich will die DB Netz die Schienenstrecken in den kommenden Jahren mit einem Digitalnetz ausrüsten, das den jeweiligen Aufenthaltsort des Zuges per Satellit an die Leitzentrale meldet. Die Bahn soll dann zwar nicht ohne Personal im Führerstand fahren; aber viele Tätigkeiten, die heute noch von verschiedenen DB-Kollegen an der Strecke und im Zug erledigt werden, sollen dann zusammengelegt werden können. Am 24. März findet ein Spitzengespräch zu dem Thema Personalabbau zwischen Hartmut Mehdorn und dem Gewerkschaftschef Norbert Hansen statt.

Über die von Mehdorn verfolgte Unternehmensstrategie wird indessen heftig spekuliert. Manche halten die fast täglich durchsikkernden Brandnachrichten der Bahn für Taktik, um politischen Druck aufzubauen. Das Grundgesetz schreibt dem Bund schließlich im Artikel über die Bahn eine Verantwortung für den Erhalt einer Bahninfrastruktur zu.

Andere werfen Mehdorn vor, mit seiner Orientierung auf einen raschen Börsengang eine verkehrspolitisch fatale Entwicklung voranzutreiben, die sich allein auf lukrative Schnellzüge konzentriert und ansonsten defensiv aufs Sparen konzentriert. So einfach ist das aber für den Bahnchef nicht. Beim Regionalverkehr kann Mehdorn gar nicht einfach bestimmen, dass zum Beispiel bestimmte Strecken künftig mit Bussen bedient werden. Schließlich treten die Länder hier als Besteller auf und nicht die Deutsche Bahn.

Doch absehbar ist, dass Mehdorn den jährlich 300 Millionen Mark Defizit einfahrenden Interregio aus dem Fernverkehrsbudget rauskatapultieren will – wie sein Vorgänger Ludewig auch schon. Die Bahn AG argumentiert, dass die Züge sowieso überwiegend von Nahverkehrsreisenden genutzt würden und die Länder somit für deren Erhalt aufkommen sollten. Doch die haben es bisher strikt abgelehnt, die Kosten für den Interregio zu übernehmen. Verhindern können sie die Streichung indes nicht.

Und so werden sie möglicherweise gezwungen sein, Ersatzprodukte zu bestellen – wodurch ihnen das Geld für den Verkehr auf Nebenstrecken fehlen wird. Hier könnte Mehdorns Plan ansetzen, Bahnbusse als Ersatz für Schienenverkehr anzubieten. Doch möglicherweise werden die Länder die Leistungen dann lieber bei einem DB-Konkurrenten bestellen.