„Stell dich nid esu aan“

Seit dem Regierungsumszug leben viele Rheinländer in Berlin. Doch die Gelegenheiten zur echten Karnevalsfeier sind rar. Zwei Kölnerinnen machten sich auf die Suche nach dem wahren Rausch

von KATHARINA KOUFEN und MAIKE RADEMACHER

Nun ist es so weit: Im Kölner Dom getauft oder doch zumindest viele Jahre im Schatten des Doms gelebt, die Zähne noch zerstört von Kamellen (deutsch: Bonbons), gute 20 Jahre Alaaf. Und dieses Jahr sind wir nicht dabei. Während am Rhein reihenweise Immis – also nach Köln gezogene, umgekehrt würde man Neu-Berliner sagen – durch die Straßen ziehen, sitzen wir als Neu-Berlinerinnen in der strebsam-disziplinierten neuen Hauptstadt und haben nicht einmal am Rosenmontag frei. Das Herz krümmt sich vor Fernweh. So geht das nicht. Wir gehen in die Offensive.

Karnevalsregel Nummer eins: Weitermachen. Auch wenn es einen schon beim Schminken schaudert beim Gedanken, so durch Berlin zu ziehen. Wir erwägen die Möglichkeit, Perücke, Schminkzeug, Glitter und Ringelstrümpfe in eine Tüte zu stopfen und sich erst vor dem Lokal zu verkleiden. Nein, offensiver ist es sicherlich, mit dem rotem Gestrubbel auf dem Kopf die S-Bahn zu betreten.

Unglaublich: Um neun Uhr abends ist die Stadtbahn Richtung Berliner Osten proppen voll, aber keiner ist geschminkt, und alle sind nüchtern – bis auf die üblichen Besoffenen. Durch den Schallschutz der Perücke dringt Gemurmel an die Ohren, „Fasching, wa?“ und „Sieht ja echt beknackt aus mit der Schminke“. Ein weißhaariger Herr setzt sich gegenüber und zückt einen Notizblock. Journalisten unter sich. „Die Bonner feiern ihren ersten Karneval in Berlin“ – ein schönes Thema für die Seite „Vermischtes“. Oder doch Kultur ?

Eigentlich liegt die Bonner Kneipe „Ständige Vertretung“, kurz StäV, in Berlin-Mitte. Wieverfastelovend wird jedoch im Matrix am Warschauer Platz gefeiert. Im tiefsten Friedrichshain müssen wir aussteigen. Weit und breit kein Jeck auf dem Bahnsteig. Dafür steht draußen an der Warschauer Straße ein Mann, dessen Herz eindeutig links schlägt und das auf auffällig rot leuchtende Weise. Und der Frau an seiner Seite blinkert was auf der Nase, was im Scheinwerferlicht eines Lkw ganz nach Glitter aussieht. „Zum Matrix?“ – Ja, da wollen sie auch hin.

Unter den Bögen des U-Bahnhofs Warschauer Straße liegt sie, die Insel des Karnvals. Und tatsächlich herrscht so etwas wie Karnevalsstimmung. Die vergeht zwar am Eingang wieder: 25 Mark kostet der Eintritt, fünf Mark das Kölsch, zwei Mark die Garderobe. Nicht gerade authentisch – hat man jemals in einer Kölner Südstadtkneipe Eintritt bezahlt?

Egal: Karnevalsregel Nummer zwei: „Trink doch eene mit, stell dich nid esu aan“ – wir kippen das erste Kölsch, um den Alkoholpegel in Angriff zu nehmen, und quetschen uns auf die Tanzfläche. Funkenmariechen und Prinzen gibt es fast keine, dafür tanzt eine Nonne mit einem Mönch, ein paar sind gar nicht verkleidet. Ein Räuber versucht eine Bushaltestelle zu küssen, scheitert aber am vorstehenden gelben Papp-S. Offensichtlich kein Kölner, denn: „Kölsche Jungs, die bütze joot, wie de Stars in Hollywood“. Der einzige echte Prinz wird gerade von einem Kamerateam des entdeckungsfreudigen Senders N 24 interviewt und sagt „Ajo Berlin, Alaaf Bonn“. Also doch kein echtes Exemplar.

Duch die Tür zur Herrentoilette sieht man einen Mann, der in Unterhosen auf einem Bein hopst. Offensichtlich ist er direkt von der Arbeit gekommen und will sich in eine Lederhose Stil Allgäuer Alpen zwängen; das Jacket hängt über der Türklinke.

Karnevalsregel Nummer drei: Kneipenwechsel à la „Die Karawane zieht weiter, der Sultan hätt Doosch“ – hierzulande „hält er durch“ – wo sollen wir auch sonst hin? Alle, alle wollen wir Montagabend wieder sehen, und ein bisschen gebützt wird dann auch noch. „Der Himmel weiß, dass ich kein Englein bin“, garantiert nicht, aber wie soll man das unter diesen Umständen beweisen? „Lola“, schreit jemand von hinten in mein Ohr, während wir uns schneckenartig in einer Polonaise einrollen, „Lola ist doch jetzt der Diepgen, det is doof. Ich finde, du bist Pumuckl.“ Ich verstehe zwar nicht, was er meint, aber er hat ein rotes Express- und Stadtanzeiger-Hemd an. Leider nur Verkleidung – die beiden NevenDuMont-Blätter sind nicht live dabei, wahescheinlich sind alle Mitarbeiter vor Ort.

Zwei Ex(il)-Kölnerinnen diskutieren über die Performance dieser Weiberfastnachtsparty: „Ich komme mir vor wie auf einem anderen Planeten“, sagt Susanne Poppe, die ihren ersten Karneval in Berlin feiert. „Die Kölner können einfach besser feiern als die Berliner.“ Wie wär’s statt mit „mer losse de Dom in Kölle“ mer losse de Brandenburger Tor in Berlin ? Nein, das passt wirklich nicht, schon von der Melodie her.

Erst auf dem Weg zum Ausgang doch noch ein Moment der Rührung: „Wat auch passiert, det eene is klar, det Schönste wat mer han ... in unserem Veheedel.“ Da trennt sich die Spreu vom Weizen, die echten Rheinländer liegen sich in den Armen, singen sich die Seele ins Glas und kriegen feuchte Augen. Komm zurück noh Kööölle ... janz bestemp.