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Im Bauch der Action

Knackende Knochen, splatternde Körperflüssigkeiten: In „An jedem verdammten Sonntag“ inszeniert Oliver Stone American Football wie Krieg

Es gibt Menschen, die American Football mit Schach vergleichen; manch einer will das knochenmalmende Aufeinandertreffen moderner Gladiatoren vor allem aus dem Blickwinkel der Trainer sehen, die mit gewiefter Taktik und raffinierten Spielzügen versuchen, sich gegenseitig auszumanövrieren.

Oliver Stone gehört nicht zu diesen abstrakten Strategen. In „An jedem verdammten Sonntag – Any Given Sunday“ inszeniert er die größte Leidenschaft der amerikanischen Couchpotato, wie er viele Male zuvor den Krieg in Vietnam inszeniert hat. Die furiosen Bilder von Body-Kameras und Steady-Cams, die Naheinstellungen und extremen Kameraperspektiven, Zeitlupen und Lichteffekte montiert er zu einem die Sinne betäubenden Stakkato, das den Zuschauer ohne Umweg in den Bauch der Action zerrt, dorthin, wo Leiber aufeinander prallen, Nasenbeine knacken und Körperflüssigkeiten spritzen. Stone selbst hat seinen Film als „ ,Braveheart‘ in Schulterpolstern“ bezeichnet. Wahr ist, dass Football hier so gut in Szene gesetzt wird, dass Craig James, ehemals Running Back in der National Football League (NFL) und mittlerweile Sportreporter für CBS, meinte, „irgendein Sender sollte Stone anheuern, um die Super Bowl zu produzieren“.

Aber Stone wäre nicht Stone, stände nicht auch in „Any Given Sunday“ wesentlich mehr zur Disposition. „Baseball ist, was Amerika gerne sein möchte“, sagt Stone, „aber schlussendlich ist Football, was Amerika tatsächlich ist.“ Wieder einmal beklagt er den Untergang des guten, alten, ehrlichen Amerika. Stone dreht immer wieder denselben Film, ist sein Gegenstand nun Krieg, Politik, Börse oder Sport. Jedes dieser Themen wird mit ausgefeiltem Handwerk auf seine grundsätzlichen Rituale reduziert. Je primitiver das Ritual, desto geeigneter scheint es für die Katharsis der Protagonisten, die tapfer Ideale hochhalten, die dem Hirn eines von der eigenen 68er-Vergangenheit bekifften Ehrenpfadfinders entsprungen scheinen. Hier halten das Fähnchen hoch: Dennis Quaid als alternder Quarterback, der jahrelang seine Knochen hingehalten hat und dafür nun schmählich vergessen wird, und vor allem Al Pacino, der als Old-School-Coach sein schönstes Knautschgesicht auspackt und es tatsächlich schafft, die pathetischen Motivationsreden in den Halbzeitpausen nicht ganz und gar ins Lächerliche abschmieren zu lassen.

Neu im Stone-Kosmos ist bestenfalls: Schuld am Verfall der großen amerikanischen Nation sind diesmal nicht ausschließlich Politiker, sondern Journalisten und – vor allem – Frauen. Neben dem Bürgermeister sind die besten Bösewichterrollen reserviert für Cameron Diaz, die die Klubbesitzerin als klischeeharte Karriereschickse spielt, und Lauren Holly als geld- und statusgeile Spielerfrau, die ihren schwer angeschlagenen Gatten zurück aufs Spielfeld treibt. Das restliche weibliche Personal setzt sich zusammen aus Nutten oder Opfern, Alkoholikerinnen oder Tablettenabhängigen.

Stone wollte, so sagt er selbst, einen Film drehen über den „Halsabschneider-Kapitalismus, der aus Männern Brei macht“. Tatsächlich aber interessieren ihn die Umwälzungen, die der Profisport im Allgemeinen, allen voran aber der Profi-Football als reichster TV-Sport momentan erfährt, nur am Rande. Die Übernahme der Klubs durch multinationale Konzerne, der Einfluss der Medien, die Erpressung der Kommunen durch die Ligen, das wachsende Drogen- und Dopingproblem, die ins Astronomische steigenden Spielergehälter der Stars, die Einflussnahme des Fernsehens: All das ist bloß Hintergrund für die archaische Fabel vom ewigen Kampf zwischen Jung und Alt, die Rangkämpfe innerhalb des Männerbundes. Vielleicht steht dabei nicht wie sonst bei Stone das Seelenheil der Nation zur Debatte, aber doch zumindest die Zukunft der Männlichkeit. Dazu gibt es in der Umkleidekabine sogar ein paar besonders lange primäre Geschlechtsmerkmale zu sehen.

Die NFL lehnte eine offizielle Zusammenarbeit mit Stone ab, weil man glaubte, „der Film wäre nicht in unserem Interesse“. Die Anspielungen sind trotzdem kaum zu zählen, nicht nur, weil ehemalige NFL-Profis wie Jim Brown, Dick Butkus, Johnny Unitas und Lawrence Taylor Nebenrollen spielen und in Originalstadien und sogar der Villa der Quarterback-Legende Dan Marino gedreht wurde. So ist ein recht realistischer Blick in die Eingeweide eines Sports gelungen, in dem es höchstwahrscheinlich sogar noch brutaler, chauvinistischer und drogenverseuchter zugeht, als es selbst Stone gewagt hat abzubilden.

Sports Illustrated allerdings übertrieb, als man befand, Stone habe nur „eine keimfreie Version“ der echten NFL abgeliefert. Die Inszenierung ist immer noch so vehement, dass bei der Pressekonferenz nach der Berlinale-Vorführung ein italienischer Journalist vom Regisseur wissen wollte, warum er einen Film drehe über einen Sport, den er offensichtlich nicht leiden könne. Da musste Stone verständnislos lachen, denn natürlich liebt er Football, so wie Amerikaner eben Football lieben. Es gibt da ein grundsätzliches Missverständnis, und es ist ein kulturelles. Ein Missverständnis, das auch die visuelle Tour de Force nicht auflöst, als „Any Given Sunday“ auf den Zuschauer einprasselt. So gesehen hat sich Stone schon vor Jahren etabliert als ein Filmemacher, der auf den Zuschauer losstürmt wie ein 130 Kilo schwerer Verteidiger auf den Quarterback – ohne Rücksicht auf Verluste.

THOMAS WINKLER

„An jedem verdammten Sonntag“. Regie: Oliver Stone. Mit Al Pacino, Cameron Diaz, Jamie Foxx, Dennis Quaid, LL Cool J, USA 1999, 163 Min.

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