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Operation Schönheit

Eine Ausstellung im Münchner Haus der Kunst lädt dazu ein, Schönes zu betrachten. Dort, wo wir sie zuletzt vermutet hätten, in der Kunst der letzten vier Jahrzehnte: „Beauty Now – Die Schönheit in der Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts“

Die Ausstellung biegt die kecke Nase der Konzeptkunst wieder klassisch gerade: „Operation Schönheit“ gelungen, Patient Kunst makellos, nur leider tot

von BRIGITTE WERNEBURG

Es kommt wie immer darauf an, wie der Akzent gesetzt wird. Entweder meint der Slogan „Beauty Now“ dann einfach Schönheit heute oder aber Schönheit jetzt, und bitte gleich. Doch Schönheit heute ist Schönheit jetzt, und bitte sofort. Diesen Schluss legt jedenfalls die Lektüre des neuesten Sondertitels von Max nahe. Ein Anästhetikum und einen Chirurgen, mehr braucht Schönheit nicht. Nach Max übersetzt sich „Beauty Now“ in „Operation Schönheit“. Die Kalifornierin Shannon Goedharts, von der das Hamburger Lifestylemagazin berichtet, hat mit 17 Jahren schon zwölf Eingriffe an Ohren, Nase und Busen hinter sich. Falls sie die 1947 geborene Französin Orlan nicht schon überrundet hat, dürfte sie mit ihr gleichgezogen haben. Anders als Goedharts inszeniert Orlan allerdings ihr Unters-Messer-Kommen gewöhnlich als öffentliche Performance. Dabei ließ sie sich bislang mal die Stirn der Mona Lisa, mal das Kinn von Botticellis Venus modellieren. „Operation Schönheit“ meint bei Orlan schlicht „Operation Kunst“.

Orlan fehlt in der aktuellen Schau im Münchner Haus der Kunst, die den Slogan von der heutigen Schönheit zum Titel hat. Das macht schnell deutlich, wo hier der Akzent liegt. Nicht die Frage der „Schönheit in der Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts“ meint „Beauty Now“, sondern die Schönheit der Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts. Das hat seine ganz eigene Brisanz in jenem neoklassizistischen Tempel, der einem völkisch-rassistischen Kult der schönen Kunst gewidmet war, der diese ein für alle Mal diskreditiert zu haben schien. Aber nicht zur Reflexion darüber, wie sich Schönheit denn heutzutage darstellen könnte, wo sie sich findet und in welcher Form, lädt die Schau ein. Sie ermuntert dazu, Schönheit dort zu bestaunen, wo wir sie zuletzt vermutet hätten, nämlich in der Kunst der letzten vier Jahrzehnte. Der amerikanische Titel der Ausstellung, die vom Hirshhorn Museum in Washington, D. C., organisiert wurde, sagt das deutlicher. Er lautet „Regarding Beauty“. Und so wie die Exponate ausgewählt und arrangiert wurden, fordert die Schau tatsächlich dazu auf, Schönes zu betrachten. In John Baldessaris simplem schwarzem Schriftzug „Pure Beauty“ auf weißem Grund (1967/68) ist dann nicht mehr der lakonische Effenberg zu erkennen, der ausgestreckte Mittelfinger für den damaligen Kritikerpapst Clement Greenberg und dessen Drängen auf künstlerische Reinheit und Qualität. „Pure Beauty“ ist hier plötzlich auch nur noch gut gemacht, gediegen tautologisch und perfekt. Die Ausstellung biegt die kecke Nase der Konzeptkunst wieder klassisch gerade: „Operation Schönheit“ gelungen, Patient Kunst tatsächlich makellos, nur leider tot.

Das muss man den Ausstellungsmachern übelnehmen. Diese Art des Wahrnehmens ist letztlich ganz schön – peinlich. Auf solche Irrwege möchte man nicht gezwungen, so möchte man nicht vorgeführt werden, auch wenn das bei Gerhard Richter einer bösen Entlarvung dient. Wahrscheinlich fand man seine unscharfen Seestücke und Wasserfälle, sein nebliges „Garmisch“ (1981) oder seine „Scheune“ (1984) mit dem hübschen roten Dach schon immer nur eines, nämlich schön. Und zwar durchaus im Sinne von Komar und Melamids „Most Wanted“-Projekt, das auffälligerweise in der Ausstellung fehlt. Wäre an ihren, aus dem Geist der Konsumentenumfrage und Statistik geborenen Versatzstücken heroischer Landschaften und je nationaler allegorischer Gestalten deutlich geworden, dass Schönheit zu betrachten es nicht zulässt, vor dem Sprung in die Untiefen des Kitsches die künstlerische Dekonstruktion des ideologisch vorgeprägten Schönen vom flachen Grund heraufschimmern zu sehen?

Wenn Richters Landschaften nun zwischen seinen großformatigen Abstrakten Bildern 1 bis 4 hängen und man sie nur noch eines findet, nämlich doof, dann geschieht das nicht, weil sie auch ein Empfinden der Leere und Schalheit hervorrufen wollen. Es passiert, weil Richters Abstraktionen, vielschichtig farbzerfetzt, wie sie sind, wirklich fetzen. 1 bis 4 sind einfach die härtere Dosis Schönheit. Sie bringen den besseren Kick. Die Landschaften sind die Kiffer-Bilder, aber die Abstraktionen, die sind das Heroin. Schon gut anästhetisiert durch die Droge Ästhetizismus, die die Ausstellung mit den wandfüllenden Seidensteckblumen von Jim Hodges oder den neuerlichen Seestücken des Fotokünstlers Hiroshi Sugimoto bereithält, geht man hier endgültig in die Knie. „Operation Schönheit“ gelungen; und der Patient Kunst lächelt im Tod wie viermal „Mona Lisa“ von Andy Warhol 1963.

Zuvor hat man sich an einer von Felix Gonzales Torres' 15-Watt-Glühbirnen-Schnüren erfreut. Man versuchte im Kopf die eleganten englischen Eichen in Rodney Grahams Fotografien wieder im Boden zu verwurzeln, statt im Himmel, wie er es in seinen verkehrt herum aufgehängten Bildern tut. Man lief vor Anish Kapoors „My Body Your Body II“ (1993/99) auf und ab, um zu sehen, wann der Farbtrichter in der Wand als bildschöne plane Fläche erscheint und wann sich diese Fläche wieder purpurrot in den Raum hineinkrümmt. Man staunte erneut über Vija Celmins „Ocean“ von 1968 und 1970, über ihre „Big Sea, # 1“ (1969) und ihre kosmisch erhabenen Nachthimmel Nummer 5, 11 und 12 aus den 90er-Jahren: penible Bleistiftzeichnungen, die in ihrer fotografischen Abbildungsgenauigkeit von geradezu hypnotischer Wirkung sind. Man hat den monumentalen, raumgreifenden Seidensamtfall von Beverly Semmes rotem Kleid bewundert – und man hat nichts wirklich Neues gesehen.

Man kennt die Salonkunst 2000 von Mariko Mori, die hier mit einer Fotografie aus ihrer Performance „Tea Ceremony“ (1995) vertreten ist, oder Cindy Shermans „Film Stills“ vom Ende der 70er-Jahre, die Inkunabeln aller weiblicher Selbstbefragung in der Gegenwartskunst. Und auch Pipilotti Rists Vidoeinstallation „Immer ist überall“, in der eine prächtige Rächerin beschwingt die Straße entlanggeht, um mit einer überdimensionierten Fackellilie die Scheiben parkender Autos zu demolieren, ist schon drei Jahre alt. Nun würde man ganz Neues bei „Regarding Beauty“ nicht unbedingt erwarten. Unter diesem Titel kommt man auch mit Lucian Freuds weithin bekannten Fleischbergen klar. Zwar sind seine Menschen nicht schön, aber seine Bilder sind es schon. So viel Virtuosität so hingebungsvoll ans Monströse verschwendet, das hinterlässt Eindruck. Und natürlich fasziniert auch Louise Bourgeois' sorgfältigst zusammengestichelter Rupfensackkörper „Single III“ (1996). Nur mit Willem de Kooning will das bekannte Vexierspiel des schönen Hässlichen, die Irritation der Sehgewohnheiten, nicht so recht gelingen. Er ist der große, nicht zu vereinnahmende Künstler, und seine grausig gemalte „Woman, Sag Harbour“ (1964) bleibt auch grausig anzuschauen. Mit Schönheit, da beißt man auf Granit, hat de Kooning nichts am Hut. Er mag seine krumme Nase, die er den Idolen weiblicher Perfektion dreht. Die lässt er sich nicht klassisch gerade biegen.

Warum auch und aus welcher Not? Das ist die Frage, die die Ausstellung nicht beantwortet. Das müsste sie aber, und nicht nur auf dem Papier des Katalogs, in dessen Beiträgen eine „Rückkehr des Schönen in der Kunst“ behauptet wird. Die Exponate stehen dafür jedenfalls nicht. Allzu einfach wurde mit ihnen eine gegen das kunsthistorische Wissen aufgezäumte Schau organisiert. Es gäbe weitere, schreckliche Bilder weiblicher Vollkommenheit, die das Problem Schönheit tatsächlich aktueller, heutiger formulierten. Doch sie fehlen, denkt man etwa an Inez von Lamsweerdes Fotografien digital verbesserter Menschen. Mit diesen Fotos wäre man dann bei der Popkultur und ihrer Definitionsmacht in Sachen Schönheit, an die der uncool aufgebrezelte Titel „Beauty Now“ andocken möchte. Da wäre man dann beim Design, der totalen Ästhetisierung des Alltags, dem Terror der Schönheit allenthalben, bei Umfragen, nach denen vierzig Prozent der US-Amerikanerinnen ihr Kind abtreiben würden, gäbe es einen pränatalen Test, der ihnen ein dickes Kind vorhersagte.

Da wäre man dann bei Naomi Campell, nackt auf dem Titel von GQ, überall in jeder Stadt, an jeder Ecke plakatiert. Wenig verwunderlich, dass die Kunst da nicht mehr ohne weiteres schön sein will und auch nicht kann. Und kaum erstaunlich, dass es uns nicht hilft, sie plötzlich doch schön zu sehen. Denn das ist das merkwürdige Ergebnis der Ausstellung: Die gegen den Strich gebürstete, unerwartet schöne Kunst, wir brauchen sie offenkundig nicht. Trotz der Überraschungen, die die Schau durchaus bietet, eine Leerstelle füllt sie nicht. Kein Sehnsuchtsmotiv, nirgends. Suchtmotive vielleicht.

Bis 1. Mai, Haus der Kunst, München, Prinzregentenstraße 1, Katalog 49 Mark

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